Und die Scham kam doch noch: 70 Jahre nach ihrer Gründungsversammlung hat die Bezirksärztekammer Nordwürttemberg in Degerloch eine Stele enthüllt. Sie erinnert an die NS-Opfer in der Medizin.

Nie wieder wollen wir als Ärzteschaft einer verbrecherischen und menschenverachtenden Medizin Raum geben.“ So lautet der zweite Abschnitt der Inschrift der Stele, die am Mittwochabend vor der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg in Degerloch enthüllt wurde. Auf der geschwungenen Glasskulptur der Künstlerin Hella Santarossa gedenkt die Ärzteschaft Nordwürttemberg „den Opfern der Medizin im Nationalsozialismus und aller Ärztinnen und Ärzte, die von 1933 bis 1945 gedemütigt, verfolgt und ermordet wurden.“

 

Arbeitsgruppe untersucht Rolle der Ärzte in der NS-Zeit

Damit solle ein Zeichen gesetzt werden, sagte Wolfgang Miller, Vorstandsmitglied der Bezirksärztekammer, bei der Enthüllung. Die Initiative begann im Jahr 2004, als die Ärztevertreter in ihr neues Kammergebäude eingezogen waren. Eine Arbeitsgruppe, moderiert vom Kammerpräsidenten Klaus Baier, habe sich mit der Rolle der Ärzte in Nordwürttemberg während der Nazizeit befasst, so der Chirurg. Eine glückliche Fügung sei gewesen, dass eine Kollegin, Susanne Ruess, ihre Doktorarbeit fertiggestellt habe zum Thema „Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus“. Die Bezirkskammer habe den Druck des preisgekrönten Werks unterstützt und danach mit Doktoranden des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Uni Tübingen zusammengearbeitet. Auch Studierende der Hochschule Ludwigsburg hätten sich mit dem Thema auseinandergesetzt. „Mit dem Mahnmal schließt sich heute der Kreis zu den Anfängen unserer AG“, so Miller.

Auch Robin Maitra arbeitete daran mit. Der Facharzt für Innere Medizin fragte sich, warum die Stele jetzt erst komme. Zwar habe schon ein Team unter dem Heidelberger Neurologen Alexander Mitscherlich eine Dokumentation der Nürnberger Ärzteprozesse erstellt und 1947 in der Schweiz drucken lassen. Aber: „Die 25 000 Stück, die an Ärztekammern verschickt wurden, sind spurlos verschwunden.“ An den Schlüsselstellen des Medizinbetriebs saßen Ex-Nazi-Funktionäre. „Lange wurde nichts aufgearbeitet“, so Maitra. Die Vorstellung von wenigen „Haupt“-Verbrechern sei bequem gewesen, das Gros der Ärzteschaft habe sich als „minder belastet“ oder Mitläufer aus der Affäre ziehen können.

„Mahnmal kommt spät, es scheint aber nötiger denn je“

„Das Mahnmal wird nun Jahrzehnte nach Kriegsende enthüllt, es scheint aber nötiger denn je.“ Diskussionen über Sterbehilfe, Gentechnik und darüber, wer teure Therapien bekomme, oder die Gefahr, dass das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt werden könne, zeigten das. „Das Mahnmal wird dann seinen Zweck erfüllen, wenn es künftige Generationen von Ärzten auf Irrwege und Gefahren hinweist, die sich in einer Medizin fallgrubentief eröffnen, wenn Therapien, Prozeduren und Eingriffe den Wert des Menschen messen und beurteilen wollen“, so Maitra. Zur Kammer komme jeder mal wegen Fortbildungen.