Ein bisschen erinnert der offene Brief, den die Familie Bareiss vom gleichnamigen Fünf-Sterne-Superior-Hotel in Baiersbronn an den Bundeskanzler geschrieben hat, an das Angebot für ein Gipfeltreffen. Hermann Bareiss, sein Sohn Hannes und dessen Frau Britta fordern Olaf Scholz dazu auf, die Mehrwertsteuer auf Speisen auch nach dem Jahreswechsel bei sieben Prozent zu belassen.
Das ist schon lange ein Grundanliegen der Branche, die bei einer Erhöhung der in der Pandemie gesenkten Mehrwertsteuer zurück auf 19 Prozent die Schließung von 12 000 Betrieben befürchtet. Fast 90 000 Gastwirte, Hoteliers sowie Beschäftigte und Unterstützer der Branche haben in den vergangenen sechs Wochen eine entsprechende Online-Petition unterschrieben. Die Bareiss’ aber zählen zu den Bekanntesten der Branche, nur wenige führen ein Restaurant auf Drei-Sterne-Niveau. Was die Küche angeht, sind die Bareiss’ sozusagen selbst Kanzleramt.
Man wolle sich mit dem Brief nicht zum Sprecher der Branche machen, betonen die Bareiss’ in ihrem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt. Andererseits spreche man an, was „ausnahmslos“ jeden einzelnen gastronomischen Betrieb betreffe. Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer schaffe Verhältnisse, „die Unternehmen an den Rand ihres Existieren-Könnens bringen“.
In elf Punkten fassen die Bareiss’ die Argumente zusammen, die aus ihrer Sicht gegen eine Erhöhung sprechen, und wie sie auch der Branchenverband Dehoga in ähnlicher Form vorträgt. Es geht um die Gleichberechtigung mit anderen europäischen Ländern, in denen ein reduzierter Mehrwertsteuersatz gilt. Es geht um Kostensteigerungen bei Energie, Lebensmitteln und Löhnen, die der Branche zu schaffen machen, während die Gäste ihrerseits aufgrund der hohen Inflation seltener einkehren. Zudem schade der Verlust der gastronomischen Vielfalt den Innenstädten, dem ländlichen Raum und letztlich dem gesamten Wirtschaftskreislauf.
Bundeskanzler Olaf Scholz wird an sein Versprechen erinnert
Persönlich wird es in Punkt sieben, in dem die Familie den Bundeskanzler an ein Versprechen erinnert. „An Ihre vor laufender Kamera am 7. September 2021 für dauerhaft zugesagte Entfristung der temporären Mehrwertsteuer werden Sie sich, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sicher erinnern“, heißt es und weiter: Er habe sich ja den Fachverstand als Minister der Vorgänger-Regierung erworben, um zu wissen, dass eine wettbewerbsfaire Besteuerung keine Subvention sei.
Auch zum Ende des Briefs werden die Bareiss’ persönlich: Die Familie sieht das Gastgewerbe vom Bundeskanzler und der Politik nicht wertgeschätzt – eine Aussage, wie sie unter Gastronomen derzeit häufig zu hören ist: „Um einen Kollegen zu zitieren: ,Deutsche Wirte haben wirklich genug gelitten und sollten nun endlich mal vom Staat mit etwas mehr Respekt behandelt werden‘“, schreibt die Familie und zitiert dazu ein Bonmot, das Otto von Bismarck, von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reichs, zugeschrieben wird: „Ein Volk, das seine Wirte nicht ernähren kann, verdient nicht, eine Nation genannt zu werden.“ „Nehmen wir fürs Volk auch seine politisch gewählten Vertreter in Haftung, behält Bismarck mit seinem Satz immer noch Recht. Oder auch erst recht“, heißt es.
Der offene Brief ging auch an Kretschmann, Habeck und Baerbock raus
Der offene Brief wurde laut Hannes Bareiss am 11. September per Briefpost dem Bundeskanzler geschickt. Gleichzeitig ging er an rund 60 weitere Politiker raus. Darunter sind alle Bundesministerinnen und -minister, die Landesregierung Baden-Württemberg und sehr viele Bundestagsabgeordnete. Bislang habe sich nur Sebastian Schäfer, Bundestagsabgeordneter der Grünen aus dem Wahlkreis Esslingen, gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Für Hannes Bareiss der perfekte Fall – gelten die Grünen doch in der Frage der niedrigeren Mehrwertsteuer innerhalb der Ampelkoalition als die eigentlichen Bedenkenträger: „Ich hoffe, dass der Brief dazu führt, dass die Politiker vor der Entscheidung sich über das Thema erkundigen und Gedanken machen, bevor die Abstimmung ansteht.“
Für diesen Donnerstag hat die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag einen Entwurf zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes eingebracht. Im Bundesrat ist die Mehrwertsteuer am 7. Oktober Thema. Konkret wird es im November, wenn die Schätzung der Steuereinnahmen und damit mögliche Finanzpolster vorliegen. Dann sind die Augen auf den Bundesfinanzminister gerichtet.
Eine Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz auf seinen Brief habe er bisher nicht, sagt Hannes Bareiss, man müsse hier Geduld haben. „Aber wir erwarten, dass es eine Reaktion gibt. Eigentlich müsste er sein Versprechen bekräftigen.“ Er würde Scholz auch gerne nach Baiersbronn einladen, zu einem Arbeitsessen.
Vielleicht könnte der Bundeskanzler aber auch mit einem weiteren Bismarck-Zitat antworten – und doch alles offenlassen: „Es ist leichter zu kritisieren als zu regieren.“