Die SPD-Mitglieder im Land haben über ihre Parteispitze abgestimmt – doch sie sind zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Die Partei weiß nicht mehr, wofür sie steht, analysiert der StZ-Autor Reiner Ruf.

Stuttgart - Wenn die Rede auf die SPD kommt, kann es einem schwer werden ums Herz. Was ist aus dieser großen, alten Partei nur geworden? Aus jener Sozialdemokratie, die einen so entscheidenden Anteil an der Demokratie in Deutschland hat? Eineinhalb Jahrhunderte marschierte sie der Sonne entgegen – „Brüder, zum Lichte empor“ –, nun droht sie im Herbstnebel zu verschwinden.

 

Kein Satz ist so häufig über die SPD zu hören wie der, dass niemand mehr weiß, wofür sie eigentlich steht. Das ist fatal in einer Zeit, in der die Volksparteien von den kleinteiligen Egoismen einer Gesellschaft zerfressen werden, die sich zusehends atomisiert. Ein Alleinstellungsmerkmal wäre da nicht schlecht, so wie es für die SPD einmal die soziale Gerechtigkeit war. Zu Zeiten der 40-Prozent-SPD galt der Sozialstaat als die Basis, die für einen Wahlsieg allein nicht reichte, ohne die es aber nicht ging. Hinzu kommen musste das Werben um die technische Intelligenz, das Bildungsbürgertum und andere Gruppen.

SPD wählen aus Sentimentalität

Die SPD-Landeschefin Leni Breymaier stand für den Ansatz, dass es in der Stunde der Not den Markenkern zu bewahren, besser: wiederherzustellen gilt. Wenn die Partei am Boden liegt, so das Kalkül, konzentriert sie sich am besten auf die Mühseligen und Beladenen. Die Frage ist nur, ob hinter jenen 15 Prozent der Wahlbürger, die in Umfragen noch schüchtern angeben, SPD zu wählen, tatsächlich die Beschäftigten von Drogeriemärkten und Friseurketten stecken. Womöglich sind diese schon ganz woanders verortet, und wer noch SPD wählt, tut dies aus Sentimentalität.

Im Basisvotum ist Breymaier mit ihrer Sicht der Dinge gescheitert, ein paar Stimmen Vorsprung am Ende hin oder her. Ihr Politikangebot war zu schmal, der Rückzug ist folgerichtig, auch wenn eine in der Partei um sich greifende Panik zu dem Desaster beigetragen haben mag. Freilich vermochte auch Lars Castellucci, ihr Herausforderer, der thematisch einen etwas weiteren Horizont sucht, nicht zu überzeugen. Zurück bleibt eine zerrissene Partei, die – siehe oben – nicht nur nicht weiß, wofür sie steht, sondern auch ratlos ist, wer für sie steht. Breymaier will nicht mehr, Castellucci kann eigentlich nicht, will dennoch kandidieren – und jeder andere muss sich fragen lassen, ob er nicht nur ein Landesvorsitzender aus Verlegenheit wäre.

Vollsortimenter, keine Nischenpartei

Wenn die Partei in Zeiten der Personalisierung von Politik keine Heldenfiguren auf die Bühne zu bringen vermag, bleibt nur, Politik von der Sache her zu begründen. Dass die SPD in den Schröder-Jahren ihre sozialpolitische Identität preisgab, steht außer Zweifel; nicht nur wegen Hartz IV. Dass jetzt ausgerechnet die Grünen Vorschläge zur Überwindung dieser zentralen Reform des rot-grünen Regierens in den Jahren 1998 bis 2005 vorlegen, muss die SPD demütigen. Unschärfen gibt es auch im Land: 21 000 Wohnungen wurden auf den Markt geworfen, um in der Bankenkrise die LBBW zu retten. Das schadet der Landespartei bis heute. Andererseits setzte die SPD in den grün-roten Jahren mit dem Ausbau von Ganztagsbetreuung und Gemeinschaftsschulen ein starkes Signal für mehr Chancengleichheit.

Die SPD hat nur eine Zukunft als Vollsortimenter – über die gesamte politische Bandbreite hinweg. Sonst wird sie zur Nischenpartei. Zugleich muss sie als Kraft des sozialen Zusammenhalts wieder erkennbar werden. Die Bürgerversicherung ließ sie bei den Verhandlungen über die große Koalition in Berlin fallen wie eine heiße Kartoffel. Wieso? Das Projekt wäre für viele potenzielle Wähler attraktiv. Die Wohnungsnot ist ein Thema, das die SPD im Kern berührt. Ebenso die Digitalisierung der Arbeitswelt. Mit welchen SPD-Köpfen verbinden sich auf diesen Feldern Konzepte und Kompetenzen? Da steckt viel Arbeit drin. Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Nur so geht es wieder aufwärts.