Der islamische Religionsunterricht hat Zulauf. Auch zwei Stuttgarter Gymnasien wollen ihn anbieten. Aber es gibt noch einige Hürden.
Stuttgart - Der islamische Religionsunterricht (IRU) führt in Baden-Württemberg noch ein Schattendasein. Aber das soll sich nach dem Willen der Landesregierung ändern. Auch deshalb, „damit die Kinder nicht irgendwelchen Hasspredigern ins Netz gehen und Platitüden aufsitzen“, wie eine Sprecherin des Kultusministeriums erklärte. In Stuttgart entdecken immer mehr Schulen, welche Chancen ein solcher bekenntnisorientierter Unterricht bietet. Neben weiteren Grund- und Werkrealschulen wollen erstmals auch zwei Stuttgarter Gymnasien ihren muslimischen Schülerinnen und Schülern ein solches Angebot machen: das Schickhardt-Gymnasium im Süden und das Neue Gymnasium in Feuerbach. Dies berichtete Ulrike Brittinger, die Leiterin des Staatlichen Schulamts, bei einer Info-Veranstaltung in der Schwabschule. Es seien „sehr ermutigende Signale, die zeigen, dass es keine Vorbehalte gibt“. Zu der Veranstaltung waren auch viele Schulleiter gekommen.
Seit dem Start des islamischen Religionsunterrichts im Jahr 2006 – in Stuttgart mit 55 Schülern – habe sich die Teilnehmerzahl in der Landeshauptstadt beim sunnitischen Unterricht auf 321 gesteigert, verteilt auf drei Grundschulen und zwei Werkrealschulen, berichtete Brittinger. Doch dieser kleinen Zahl stehe gegenüber, dass in Stuttgart inzwischen 60 Prozent der Kinder einen Migrantenhintergrund haben, viele davon Muslime seien, die meisten sunnitischen Glaubens.
Schulleiter wollen Bekenntnisunterricht für Muslime
„Wir brauchen den Islamunterricht dringend“, sagte Renate Schlüter, die Leiterin der Elise-von-König-Schule in Münster. Denn die Schwierigkeit, den Islam einzugruppieren, spiegle sich auch in der Elternschaft wider. Bisher erhielten Kinder, die weder am evangelischen noch am katholischen Religionsunterricht teilnehmen, einen Werteunterricht und von Klassenstufe acht an Ethik, ganz früher habe man diese Zeit mit sogenannten Hüte- oder Förderstunden überbrückt, sagt sie.
Eine Schulleiterkollegin aus Bad Cannstatt berichtet: „Manche islamischen Kinder kamen aus der Moschee und haben andere Kinder unter Druck gesetzt – da haben wir gesagt, da muss ein islamischer Religionsunterricht an der Schule her.“
Keine Berührungsängste vor der Vielfalt der Vereine
Doch wie schafft man es, den Kindern „in gewisser Neutralität religiöse Werte beizubringen“, wie es der stellvertretende Schulamtschef Matthias Kaiser formulierte – wo es doch im Islam keine Religionsgemeinschaft gibt, wie Gökcen Tamer-Uzun erklärte, Abteilungsleiterin für Islamische Theologie an der PH Ludwigsburg. Die Religionspädagogin, die das Projekt in Stuttgart von Anfang an begleitet hat, berichtete: „Viele muslimische Eltern fragen als Erstes: Welcher Verein steckt dahinter?“ Und die Bandbreite an türkischen, bosnischen oder arabischen Vereinen sei durchaus groß. Doch man arbeite mit allen zusammen und habe auch keine Berührungsängste mit Vereinigungen wie der vom Verfassungsschutz beobachteten Milli Görüs. Seit einigen Jahren gebe es dafür eine Koordinierungsgruppe.
Doch in erster Linie solle der islamische Religionsunterricht den Kindern eine religiöse Sprach- und Ausdrucksfähigkeit vermitteln, man behandle Themen wie Allah/Gott, Engel, Propheten, Familie, Umgang mit Mitmenschen und Tieren. Aber der Unterricht solle den Kindern auch ermöglichen, über Religion im Alltag zu sprechen und Erlebnisse zu hinterfragen – auch bizarr anmutende Ansagen von Imamen. Somit seien auch diese aufgefordert, anders zu arbeiten und ihre Aussagen zu begründen, sagt Tamer-Uzun, die an dem künftigen Bildungsplan mitarbeitet. Zugleich müsse man „schauen, dass wir nicht gegen die Vereine arbeiten“, sagt die Pädagogin. Das Ziel dieses in deutscher Sprache und unter staatlicher Aufsicht angebotenen IRU seien „mündige, demokratische, deutsche Muslime“. Über die Kinder sollten auch die Eltern in einen innerislamischen Dialog kommen, seien es Mütter im Minirock oder mit Tschador.
Nicht alle Familien wollen den innerislamischen Dialog
Doch das wollen nicht alle. Es habe auch sehr konservative muslimische Familien gegeben, die ihre Kinder vom IRU wieder abgemeldet hätten, berichtet Jana Bergemann von der Schwabschule. Dort können Eltern bei der Anmeldung ihrer Erstklässler ankreuzen, ob diese den evangelischen, katholischen oder islamischen Religionsunterricht besuchen sollen. So weit sind andere Schulen noch nicht. Denn im Unterschied zum Unterricht der christlichen Religionen ist der IRU noch immer ein vom Land unterstütztes Modellprojekt und nicht im Schulgesetz verankert. Vor allem fehlt es an Lehrern. Dies könnte sich ändern. Inzwischen verlassen die ersten Absolventen das Zentrum für islamische Theologie der Uni Tübingen. Die PHs bieten den Erweiterungsstudiengang Islamische Religionspädagogik. Vom kommenden Wintersemester an könne man das Fach regulär auf Bachelor und Master studieren, sagt Gökcen Tamer-Uzun.