Am Freitag beginnt das Musikfest Stuttgart mit einem Konzert mit 200 singenden Kindern. Bei einer Probe von „Die Schöpfung – Erde an Zukunft“ teilen die Schüler und die musikalisch Verantwortlichen die Begeisterung für das Projekt.
Helene Fischer wird ja auch dafür bewundert, dass sie imstande ist, unfallfrei zu singen, während sie spektakuläre Bewegungen vollführt, und Bob Dylan hat mal ein schönes Lied mit dem Titel „Man gave Names to all the Animals“ geschrieben. Wenn 200 Schüler der Klassen drei bis fünf im Hospitalhof die Kinderchor-Teile von „Die Schöpfung – Erde an Zukunft“ proben, Karsten Gundermanns freie Bearbeitung von Joseph Haydns Oratorium, dann fühlt man sich mitunter an beide eingangs erwähnten musikalischen Welten zugleich erinnert. Denn wenn das „edle Ross“ besungen wird, der „schnelle Hirsch“ und das „sanfte Schaf“, dann ist von den singenden Kindern im Probensaal voller Körpereinsatz gefordert. Also wird symbolisch galoppiert, gewiegt, geflattert – nicht immer zur Zufriedenheit der Dirigentin Sabine Layer: „Das schaut manchmal aus wie Kraut und Rüben – das kann ja wohl nicht sein“, schimpft sie. Bis die Kinder am Freitag um 18 Uhr zusammen mit der Gaechinger Cantorey, dem Ensemble der Internationalen Bachakademie, und dem 40-köpfigen Orchester in der Liederhalle das Musikfest Stuttgart eröffnen, ist noch choreografische Feinarbeit vonnöten, findet die Dirigentin: „Wenn Ihr schon vorher alles verzappelt, können wir’s bleiben lassen.“
Aber eigentlich ist Sabine Layer von den Kindern begeistert, mit denen sie seit vergangenem Oktober „Die Schöpfung – Erde an Zukunft“ einstudiert: „Die Kinder brauchen Klarheit“, erklärt sie in einer Probenpause. Sie würden über immense Fähigkeiten verfügen – die gelte es, im Konzert zu zeigen. Also visualisiert die Dirigentin im Probensaal mit ihren Händen abwechselnd die Tonhöhen und die tierischen Choreografien, während die meisten der 200 Kinder inbrünstig singen: „Auf grünen Matten weidet schon das Rind.“ Für jene, die den Text vergessen haben, hat Sabine Layer einen profunden Tipp parat: „Wer keinen Text hat, singt La la la!“ Dann ist in der Partitur von der Erde als Ganzes die Rede, die wie ein Raumschiff „durch die unendlichen Weiten des Weltraums“ fliege. Nun lobt die Dirigentin die Kinder: „Ihr klingt sowas von schön!“ Zur Sicherheit verdeutlicht sie noch einmal die ans diesjährige Musikfest-Motto „#natürlich“ angepasste inhaltliche Ausrichtung der Oratorien-Bearbeitung: „Die Natur produziert keinen Müll. Nur wir sind die Schweinchen. Is so.“
Spickzettel sind in Ordnung
Denn während sich die Bachakademie in den ersten beiden Teilen ihrer Haydn-Adaption stark am Original der „Schöpfung“ orientiert, steht im dritten Teil nicht die Paradiesgeschichte im Vordergrund, sondern eher eine Art symbolische Anklage an Adam und Eva, denen vorgeworfen wird, mit der Schöpfung nicht verantwortungsvoll umzugehen. Den Kindern scheint das zu gefallen. So könne man mit Freude was für den Planeten Erde tun, findet Clara (10) von der Grundschule Im sonnigen Winkel am Killesberg. Wenige Tage vor dem Eröffnungskonzert des Musikfestes spüre sie „eine freudige Aufregung“, sagt sie. Ihre Mitschülerin Cynthia (10) gefällt die Erfahrung des Probenfortschritts kurz vor dem Konzert: „Man nimmt seine ganze Kraft, um alles zu schaffen.“ Beide bekunden, die Probenarbeit mit der Dirigentin Sabine Layer und der Stimmbildnerin Magdalena Fischer mache viel Spaß.
Der kommt manchen der 200 Kinder während der Probe freilich manchmal abhanden. Gegen Mittag hat ein Junge das Gefühl, ihm sei etwas ins Auge geflogen. Er sucht ebenso Zuflucht bei einer Lehrerin wie ein anderer Junge, der plötzlich klagt, „heiser“ zu sein. Und weil sich die große Gleichzeitigkeit nicht nur durch das Schaffen von Helene Fischer und Bob Dylan zieht, sondern auch im Hospitalhof anzutreffen ist, suchen manche der singenden Kinder den Spaß zum Missfallen der Dirigentin mitunter auch jenseits der Chorkunst: „Ihr zwei Mädchen hinter der Uta macht ständig was anderes – das will ich nicht sehen“, rügt Sabine Layer, die später bekunden wird, dass sie gegen „unauffällig“ hervorgekramte Spickzettel beim Konzert nichts einzuwenden habe. Gesangliche Fehler aus Euphorie seien übrigens „nicht schlimm“, erklärt sie den Kindern, schlechte Performance wegen „kein Bock“ hingegen schon. „Aber ich habe das Gefühl, ihr wollt alle.“
Rademann preist den Brückenschlag
Das kommt der Sichtweise von Hans-Christoph Rademann zupass. Wenn man den Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart anruft und ihn fragt, welchen Stellenwert das Eröffnungskonzert mit Kinderchor beim Musikfest Stuttgart für ihn hat, antwortet er: „Ich gebe damit ein Statement ab, das aus vollster Überzeugung kommt. Der Brückenschlag zwischen Profis und Schülern – das ist für mich der Inbegriff von Kultur.“ Die Stimmbildnerin im Hospitalhof schaltet jetzt auf Sopran, die Klavierspielerin gibt ein flottes Tempo vor, und den Kindern wird in Aussicht gestellt, dass die Probe in einer halben Stunde enden könnte, wenn der finale Durchlauf gesanglich wie tänzerisch ohne all zu große Pannen gelingt. „Mit fliegender Mähne springt und wiehert voll Mut und Kraft das edle Ross“, singen die Kinder, und der symbolische Galoppschritt passt auch.