Die evangelische Kirche beleuchtet in einer Reihe von Spätgottesdiensten die Bedeutung des Wortes.

Stuttgart-Obertürkheim - Am Anfang war das Wort. So heißt es in der Bibel. Die Lyrikerin Hilde Domin hat dieses Verhältnis in einem Gedicht umgedreht. „Am Ende ist das Wort/immer/am Ende/das Wort“, schrieb sie. Die Stuttgarter evangelische Kirche hat sich von Hilde Domins Worten für eine Reihe von Spätgottesdiensten inspirieren lassen. Von Januar bis Mai lädt sie bereits zum dreizehnten Mal seit dem Jahr 2000 zu besinnlichen Nachtschichten in die Obertürkheimer Andreaskirche ein.

 

Die Predigt wird dabei ersetzt durch ein Gespräch, das Pfarrer Ralf Vogel mit seinen Gästen führt. Musiker begleiten den Abendgottesdienst. Er selbst bietet den Gläubigen die Möglichkeit, sich einzubringen. „Die Themen sind vorab bekannt, und ich spreche mit den Menschen aus meiner Gemeinde darüber, was sie interessieren könnte“, sagt Pfarrer Vogel.

Im vergangenen Jahr wurde in den Abendgottesdiensten der Nachtschicht über Macht und Ohnmacht gesprochen. Auch der heutige Bundespräsident Joachim Gauck war damals zu Gast. 2013 soll die Bedeutung der Sprache in der multimedialen Welt im Mittelpunkt der Reihe stehen. Pfarrer Vogel spricht sogar von einer „bilderüberfluteten“ Welt, in der wir leben. In ihr ist es anders als in der Bibel nicht mehr sicher, ob das Wort am Anfang und Ende aller Dinge steht.

„Viele Berührungspunkte zu unserem Glauben“

Das Wort sei gleichwohl von zentraler Bedeutung für den protestantischen Glauben, sagt Pfarrer Vogel. „Ich erinnere daran, dass Margot Käßmann das Bibelwort ,Am Anfang war das Wort‘ zum Motto der Lutherdekade gemacht hat“, sagt der Pfarrer. Über Sprache wird während der Nachtschichten sehr wohl im weltlichen Kontext gesprochen werden. „Aber gerade in weltlichen Themen zeigen sich immer wieder viele Berührungspunkte zu unserem Glauben“, sagt Ralf Vogel.

So sei es eben beim Thema Sprache, sagt der Pfarrer. Wie gewaltig das Wort in der alltäglichen Bilderflut der visuellen Medien noch ist, wollen der Schauspieler Martin Luding im Januar, die Theologieprofessorin Klara Butting im Februar, die Autorin Nilgün Tasman im März, der Moderator Wieland Backes im April sowie im Mai der Musiker Thorsten Puttenat ausloten.

Über das Gelingen der Gratwanderung

Wieland Backes, der Moderator der SWR-Sendung „Nachtcafé“, wird sich Fragen stellen müssen, wie es ihm gelingt, mit Worten Zugang zu fremden Menschen zu finden. Dabei muss Backes mit Taktgefühl vorgehen und doch etwas offenlegen, das Interesse beim Zuschauer weckt. Über das Gelingen dieser Gratwanderung entscheidet letztlich jedes einzelne Wort.

Die türkisch-stämmige Schriftstellerin Nilgün Tasman kann von Wortverwirrung im babylonischen Sinn berichten. Sie schrieb ein Buch über ihre Kindheit und nannte es: „Ich träume deutsch . . . und wache türkisch auf.“ Tasman kann den Zuhörern in der Andreaskirche anhand ihrer Erfahrung berichten, wie Wort und Inhalt zusammenhängen, aber auch eben neue Verbindungen eingehen können – zum Beispiel, wenn das Leben plötzlich in einem anderen Land Heimat findet. Pfarrer Ralf Vogel findet für eine gelungene Integration dann auch wieder einen biblischen Vergleich: „Wenn Ausländer bei uns heimisch werden, ist das auch ein Pfingstereignis.“