Auf ihrem Parteitag in Karlsruhe zeigten sich die Grünen meist harmonisch. Bis auf Samstagabend. Es ging um eine Frage, über die sich die Partei einfach nicht einig wird.

Berliner Büro: Rebekka Wiese (rew)

Plötzlich geht es um alles. Sagt zumindest Robert Habeck. „Macht euch klar, dass es kein Spiel ist, sondern eine Abstimmung, die Konsequenzen hat.“ Der einstige Parteivorsitzende der Grünen schaut ernst in den Saal. Habeck, derzeit Vizekanzler, spricht über einen Antrag. Er nennt ihn „ein Misstrauensvotum in Verkleidung, das in Wahrheit sagt: Verlasst die Regierung.“

 

Es war später Samstagabend, als die Grünen-Spitzen von einem möglichen Ende der Regierung sprachen. Die Partei war zur Bundesdelegiertenkonferenz zusammengekommen, von Donnerstag bis Sonntag in Karlsruhe. Meist wirkten sie dabei harmonisch. Doch dann kam Samstagabend – und der Streit über ihre Haltung zur Migration.

Nicht nur Robert Habeck warnte. Parteichefin Ricarda Lang sagte: „Ein Antrag auf einem Bundesparteitag ist nicht der Ort, um Frust rauszulassen.“ Außenministerin Annalena Baerbock rief den Delegierten zu: „Bitte stellt euch vor: Was würdet ihr tun?“

Eigentlich war die Haltung zur Migrationsfrage unter Grünen immer klar gewesen. Sie waren die Partei, die sich für Geflüchtete und gegen Asylrechtsverschärfungen einsetzte. Doch zuletzt trug die Partei viele Entscheidungen mit, die dem widersprachen. Erst die Zustimmung zur Reform des europäischen Asylsystems, über die die Grünen schon im Juni stritten. Dann weitere Maßnahmen wie das geplante Rückführungsgesetz. Für Grüne ist das eigentlich untragbar. Vor dem Parteitag präsentierte der Bundesvorstand einen Vorschlag, um die Position in der Partei zu klären. Darin stand vieles, worauf sich alle einigen konnten: die Unterstützung der Kommunen oder eine Integrationsoffensive. Aber eben auch einiges, was den Überzeugungen vieler Linken widerspricht. Etwa ein Satz wie dieser: „Da, wo Rückführungen notwendig sind, müssen sie auch vollzogen werden können.“

Gegen die Überzeugung vieler Linker

Auch deswegen diskutierte die Partei über einen Vorschlag der Grünen Jugend. Die Nachwuchsorganisation wollte erwirken, dass Grünen-Minister und die Fraktionen keinen weiteren Asylrechtsverschärfungen zustimmen dürfen. Auch andere Parteilinke versuchten, den Beschluss noch zu verändern. Bis kurz vor der Debatte liefen noch Verhandlungen im Hintergrund. Viele ihrer Änderungen fanden sich letztlich in dem Antrag wieder, der dann von der Parteiführung zur Abstimmung gestellt wurde.

Warnung vor dem Rechtsruck

Dass es die Grüne Jugend ernst meint, war den ersten Beiträgen der Debatte anzumerken. Da sprachen vor allem junge Delegierte. Die erste warnte vor einem Rechtsruck. „Es ist unehrlich, über Begrenzung zu reden, wenn die Welt in Flammen steht“, sagte der zweite Redner. Die Dritte am Redepult erinnerte daran, dass die Grünen 1993 den Asylkompromiss ablehnten. „Damals haben wir uns nicht treiben lassen.“ Später sprachen Delegierte, die die Parteispitze unterstützten. Die Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin Ekin Deligöz argumentierte mit den Rechten von Geflüchteten. Man werde ihnen nicht gerecht, wenn man sie nicht versorgen könne. Ein anderer Delegierter sagte: „Wir müssen realistisch bleiben, was wir umsetzen können.“

Auch die Parteispitze verteidigte ihren Antrag. „Wer Ordnung nicht zulässt, bekommt keine Humanität“, sagte Parteichef Omid Nouripour. Habeck, Baerbock und Lang betonten, mit der Position der Grünen Jugend könnte man kaum in der Regierung bleiben. Das klang, als stimmten die Delegierten über die Ampel ab. Die ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, betonte: „Wir wollen nicht das Ende der Regierung. Wir wollen den Anfang einer anderen Asylpolitik.“

Sieg für die Parteiführung

Am Ende setzte sich die Parteiführung durch. Man kann es als Erfolg sehen, dass die Partei sich auf einen Kompromiss einigen konnte. Der Konflikt ist aber womöglich noch nicht ausgestanden.