Italienische Katholiken in Waiblingen stellen die Passion Christi am Karfreitag in der Heilig Geist-Kirche in der Rinnenäckersiedlung wieder szenisch dar – für Giuseppe Modica ist es eine Premiere.

„Ihr müsst wütender, ihr müsst aggressiver sein“, fordert Suor Milva Caro von den Aposteln. „Mehr cattiveria“ – Boshaft – mischt sie bei ihren Regieanweisungen italienische und deutsche Vokabeln. Die Probenarbeit für das traditionelle Passionsspiel, das seit knapp 30 Jahren die italienischen Gemeinde Waiblingen in die Karfreitagsliturgie in der Heilig Geist-Kirche einbettet, ist auf der Zielgeraden.

 

Aber Schwester Milva Caro ist noch nicht zufrieden. Sie führt erstmals Regie und hat es mit Neulingen und langjährigen Darstellern zu tun. Ihr sind die Apostel im Umgang miteinander zu brav. Die Handlung der Passion Christi sei dramatisch, es gehe schließlich um Intrigen und Verrat. Die Regisseurin möchte, dass die Geschichte vom Leiden Jesu so authentisch wie möglich dargestellt wird. Jesus bricht das Brot, teilt es mit den Jüngern und lässt das mit Rotwein gefüllte Glas herumgehen. Dieses Bild gefällt ihr.

Mit einfachen Requisiten werden die Szenen lebendiger

Mit einfachen Requisiten werden die Szenen lebendiger, dann „tauen“ die Darsteller auf. Giuseppe Modica ist dieses Jahr zum ersten Mal in das weiße Gewand des Jesus geschlüpft. Er ist 30 Jahre alt und löst seinen wesentlich älteren Vorgänger ab, der aus gesundheitlichen Gründen die Rolle abgegeben hat. Pasquale Secreto ist geblieben, als Judas. Diese Rolle füllt er schon seit „17 oder 18 Jahren“ aus. Davor habe er andere Rollen übernommen. Er sei „schon von Anfang an dabei“ und kenne alle Texte.

Schwester Milva hofft, dass am Karfreitag alle Darsteller gesund sind und sie nicht mit Ausfällen jonglieren muss. Und sie appelliert noch mal inständig, dass man für die Fußwaschung eine „bacinella“ brauche, eine mit Wasser gefüllte Schüssel, um das Ritual so wirklichkeitsgetreu wie möglich darzustellen. „Ich habe euch das schon letztes Mal gesagt“, sagt sie etwas ungeduldig.

Die Darsteller – alle Italiener – tragen die Texte in ihrer Muttersprache vor. Lediglich die begleitenden, erklärenden Textstellen verlesen zwei Frauen von der Kanzel sowohl auf Deutsch als auch Italienisch. Sie sind weltlich gekleidet, die Passionsdarsteller tragen Kostüme. Die langen Gewänder haben die Frauen der Gemeinde selbst genäht und ändern sie je nach Bedarf, wenn der Darsteller wechselt, ab. Die Kinder mit ihren Palm- und Olivenzweigen sind schon ganz aufgeregt, sie jubeln Jesus beim Einzug nach Jerusalem zu und stehen Spalier. Danach dürfen sie am Samstagabend nach Hause, am Sonntagmorgen wollen sie beim Gottesdienst zum Palmsonntag wieder dabei sein. In der Karwoche gibt es viele Termine und Veranstaltungen in der Kirche. Die Olivenzweige wurden wieder extra aus Italien eingeführt, wie jedes Jahr gab es eine Sammelbestellung an der sich mehrere italienische Gemeinden in der Region beteiligt haben.

Die Italiener, viele von ihnen kommen aus Cariati und dem benachbarten Ort Ciro in Kalabrien, haben die Tradition des Passionsspiels aus ihrer Heimat mitgebracht, als sie in den 1960er Jahren und später in die Region gekommen sind. In Italien wird das Leiden Christi am Karfreitag fast immer szenisch dargestellt, oft werden die Stationen des Kreuzwegs nachempfunden und durch die abgesperrten Straßen der Gemeinden und Städte eine Prozession geführt. Von Anfang an hatten sich die italienischen Katholiken in Waiblingen entschieden, die Passion ausschließlich in der Kirche szenisch nachzustellen. Etwas anderes stand nie zu Debatte. „Wir wollten gar nie auf die Straße“, sagt Pasquale Secreto und schaut auf das große Kreuz aus Naturholz, das Giuseppe Modica nachher aufnehmen wird, wenn er als Jesus seinen Weg durch die Kirche antritt, vorbei am eigentlichen Kreuz der Heilig Geist-Kirche, das in der Karwoche mit einem violetten Tuch verhängt ist.

Auch in Bad Cannstatt gab es eine aufwendige Karfreitagsprozession

In Bad Cannstatt gab es viele Jahrzehnte eine sehr aufwendig gestaltete Karfreitagsprozession durch die Stadt, Zehntausende säumten regelmäßig die Straßen rund um den Wilhelmsplatz und im Ortskern. Nachdem jedoch der langjährige Regisseur aufgegeben und auch der Pfarrer gewechselt hatte, sei die Prozession zunächst ausgesetzt worden und „jetzt wohl eingeschlafen“, sagt Pastoralreferent Thomas Raiser. „Es hängt immer ganz stark von den Personen ab.“ Auch in Waiblingen habe es dieses Jahr zunächst „Personalschwund“ gegeben, erzählt Schwester Milva. Doch der scheint jetzt überwunden, die Passion wird am Karfreitag um 17 Uhr in der Heilig Geist-Kirche in der Rinnenäckersiedlung in italienischer Sprache szenisch nachempfunden.

Thomas Raiser aus Fellbach hat 17 Jahre lang als Pastoralreferent die italienischen Katholiken in Fellbach und Waiblingen begleitet. Er ist sich sicher, dass die vorwiegend aus Kalabrien und Sizilien ins Remstal gekommenen Italiener an dieser Tradition festhalten, „auch in den kommenden Jahren“. Bis zu 40 Darsteller umfasst die Gruppe, die immer im Januar mit dem Proben beginnt. Für Giuseppe Modica, 30, war es eine „Herzensangelegenheit“, die Rolle des Jesus zu übernehmen. Ohne Jesus gibt es keine Passion. Der „neue“ Jesus ist in Deutschland geboren, seine Eltern stammen aus Kalabrien und Sizilien.