Plastikflaschen und Einkaufstüten, die im Meer treiben: Das Bild gehört fast schon zum Alltag. Aber wie viel davon sinkt auf den Boden der Tiefsee? Eine Studie kommt zu einem erschreckenden Ergebnis.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Ungefähr jede Minute gelangt im Durchschnitt eine volle Müllwagen-Ladung Plastik in die Weltmeere und treibt im Wasser. Ein großer Teil davon sinkt jedoch auch in die Tiefe. Insgesamt befinden sich auf dem Grund der Ozeane schätzungsweise drei bis elf Millionen Tonnen Plastikmüll, wie eine Studie der australischen Wissenschaftsbehörde Csiro und der kanadischen University of Toronto ergeben hat.

 

Die Untersuchung ist im Fachmagazin „Deep Sea Research Part I: Oceanographic Research Papers“ veröffentlicht worden.

Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Ozeanen

Mithilfe von ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen (ROVs) sei es zum ersten Mal gelungen, ungefähr zu quantifizieren, wie viele Plastikabfälle auf den Meeresboden gelangen und wo sie sich genau ansammeln, bevor sie in kleinere Stücke zerlegt und mit dem Meeressediment vermischt werden, erklärt Csiro-Forscherin Denise Hardesty.

Eine weggeworfene Plastikflasche treibt im Roten Meer vor Ägypten und wird von der Sonne angestrahlt. Unberührter Strand ist das Ideal - Realität ist jedoch vielerorts Plastikmüll in den Meeren und im Sand. Foto: Zuma Press/Andrey Nekrasov/dpa

„Wir wissen, dass jedes Jahr Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Ozeanen landen. Aber was wir bisher nicht wussten war, wie viel dieser Verschmutzung auf den Meeresboden gelangt“, berichtet sie. Während es in der Vergangenheit bereits Schätzungen zu Mikroplastik gab, befasst sich die neue Untersuchung mit größeren Gegenständen wie Netzen, Bechern oder Plastiktüten.

Meeresboden zum Plastik-Reservoir degradiert

Da sich der Kunststoffverbrauch bis 2040 voraussichtlich verdoppeln werde, sei es für den Schutz der Meeresökosysteme und der Tierwelt von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie und wohin Plastikmüll im Meer transportiert werde, heißt es weiter in der Studie.

Die Plastikverschmutzung auf dem Meeresboden könnte den Schätzungen zufolge bis zu 100-mal größer sein, als die Menge Plastik, die an der Meeresoberfläche schwimme, betont Alice Zhu von der Universität Toronto, die die Studie geleitet hat.

Ein Zollbeamter verschließt einen Container mit Plastikmüll am Hafen von Tanjung Priok im indonesischen Jakarta. Foto: AP/Achmad Ibrahim/dpa

Der Grund der Ozeane sei somit zu einem langfristigen Reservoir für einen Großteil der Plastikverschmutzung geworden. „Dies wird durch den extrem langsamen Abbau von Kunststoff in kalten Umgebungen noch verschärft, in denen es sowohl an Sauerstoff als auch an UV-Strahlung mangelt“, heißt es weiter in der Studie.

Etwa die Hälfte (46 Prozent) der geschätzten Plastikmasse befindet sich den Ergebnissen zufolge oberhalb von 200 Metern Wassertiefe, der Rest (54 Prozent) in den folgenden Meerestiefen von bis zu 11 000 Metern.

Plastikproduktion hat sich verdoppelt

Ein Junge pustet Seifenblasen, während er auf einem Stapel von Plastikflaschen in einer Recycling-Anlage in Dhaka (Bangladesch) sitzt. Foto: Nayem Shaan/Zuma Wire/dpa

Die weltweite Plastikproduktion hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Millionen Tonnen Plastik landen in der Umwelt und im Meer, oft in Form von mikroskopisch kleinen Partikeln. Dieses sogenannte Mikroplastik kann nicht nur in den Verdauungstrakt, sondern auch in den Blutkreislauf von Lebewesen gelangen.

Der weltweite Eintrag von Plastik in Seen, Flüsse und Ozeane im Jahr 2016 hat Schätzungen zufolge neun bis 23 Millionen Tonnen betragen. Eine ähnlich große Menge – 13 bis 25 Millionen Tonnen – ist 2023 in die Umwelt an Land gelangt.

Viele Substanzen biologisch nicht abbaubar

„Plastik ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, und es sickert überall in die Umwelt, selbst in Ländern mit einer guten Infrastruktur für die Abfallbehandlung“, erklärt der kanadische Umweltchemiker Matthew MacLeod von der Universität Stockholm. Dabei nähmen die Emissionen tendenziell zu, obwohl das Bewusstsein für Plastikverschmutzung in Wissenschaft und Öffentlichkeit in den letzten Jahren deutlich gestiegen sei.

Mikroplastik schwimmt im Ozean. Foto: Imago/Pond5 Images

„Technologisch gesehen hat das Recycling von Plastik viele Einschränkungen, und Länder, die über eine gute Infrastruktur verfügen, exportieren ihren Plastikmüll in Länder mit schlechteren Einrichtungen“, unterstricht MacLeod. Zudem gebe es ein grundsätzliches Problem mit biologisch nicht abbaubaren Materialien. Er fordert daher drastische Maßnahmen, wie etwa ein Verbot des Exports von Kunststoffabfällen, es sei denn, er erfolge in ein Land mit besserem Recycling.

Abgelegene Gegenden sind besonders von Plastikmüll bedroht, wie Annika Jahnke vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erläutert. Dort könne Plastikmüll nicht durch Aufräumarbeiten entfernt werden. Auch führe die Verwitterung großer Plastikteile unweigerlich zur Entstehung einer großen Anzahl von Mikro- und Nanoplastikpartikeln sowie zur Auswaschung von Chemikalien, die dem Plastik absichtlich zugesetzt wurden.

Weltmeere sind zu Müllkippen verkommen

Plastikmüll in den Ozeanen ist ein internationales Umweltproblem, das in seinen Auswirkungen bisher kaum erforscht ist. Plastikteile, Mikroplastik sowie deren Zersetzungsprodukte sammeln sich insbesondere in einigen Meeresströmungswirbeln an und führen zu riesigen Müllstrudeln. Der größte von ihnen treibt im Nordpazifik und hat inzwischen die Größe von Mitteleuropa.

Plastikmüll am Strand an der westafrikanischen Küste bei Dakar, Senegal. Müll im Meer und an den Stränden ist ein riesiges ökologisches Problem. Wasservögel und Fische verwechseln solche Müllteile mit Fressen und sterben daran. Foto: dpa

Drei Viertel dieses Mülls besteht aus Plastikrückständen. Diese kosten nicht nur unzähligen Tieren das Leben, sondern gefährden auch den Menschen, der am Ende der Nahrungskette steht.

Im Meer sind gerade diese kleinen Minipartikel oft nur in der Größe eines Sandkorns ein Riesenproblem, weil sie von den Meerestieren mit Plankton verwechselt und gefressen werden. US-Forscher haben aber auch im Atlantik riesige Müllflächen ausfindig gemacht. Bis zu 200 000 Plastikstücke schwimmen dort pro Quadratkilometer auf der Meeresoberfläche. Die meisten hatten weniger als einen Zentimeter Durchmesser.

Erschreckender Dokumentarfilm „Plastic Planet“

Der deutsch-österreichische Dokumentarfilm „Plastic Planet“ hat diese ökologische Katastrophe erstmals einer breiten Öffentlichkeit bewusst gemacht. Der Film zeigt die Gefahren von Plastik und synthetischen Kunststoffen in ihrer weltweiten Verbreitung – an Land wie in den Meeren.

Einsame Fahrt durch Müll-Meere

Auf die dramatische Zunahme der Vermüllung der Weltmeere hatte auch der australische Sportsegler Ivan Macfadyen aufmerksam gemacht. Zweimal durchquerte er den Pazifik und konnte sich vor Ort ein Bild über den Zustand des größten Weltmeeres machen. Seine Route führte Macfayden vom australischen Melbourne durch den südöstlichen Pazifik bis zum japanischen Osaka und weiter über Hawaii bis ans die nordamerikanische Küste.

Bei seiner ersten Reise war Macfadyen noch umgeben von Fischschwärmen. Doch zehn Jahre später fuhr er durch eine stille, geisterhafte See, in der Berge von Müll dahintrieben: eine endlose Fläche aus Plastikflaschen, Strommasten, Containern, Styroporteilen, Bojen, Netzen, Tauen und Seilen.

Unter der Wasseroberfläche sah es noch schlimmer aus. Bis in die Tiefe sammelten sich die Überreste der Industriegesellschaft. „Wir schlängelten uns zwischen Trümmerteilen hindurch. Es war, als würden wir durch eine Müllhalde segeln.“ Und weiter: „Der Ozean ist zerstört.“