Nicht nur viele Menschen, sogar manche Politiker leiden unter galoppierender Inkonsequenz. CDU und Grüne in Stuttgart können ein Lied davon singen, meint Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Man könnte mutig sein und sich an Ostern mal wieder mit dem alten Bekannten verabreden, der so fies sein kann. Manchmal grinst er auch nur und gibt einem lautlos zu verstehen, dass alle guten Vorsätze für die Katz waren. Nix mit Apfel statt Leberwurst, Sprudel statt Lemberger, Treppe statt Aufzug – die Waage kann das zugenommene Gewicht am Ende der Fastenzeit nur mit Mühe austarieren, und der alte Bekannte lässt keinen Zweifel daran, dass er von vornherein um das Scheitern des Delinquenten gewusst hat. Übrigens: Man trifft den Fiesling meist im Bad. Beim Blick in den Spiegel.

 

Trost spendet immerhin die Gewissheit, dass man nicht allein ist in seinem Elend. Sogar manche Politiker sollen unter galoppierender Inkonsequenz leiden. Das Grünen-Duo an der Spitze des Flughafen-Aufsichtsrats hat gleich mit zwei Diagnosen zu kämpfen: Einerseits steigt die Zahl der Fluggäste in Stuttgart von knapp zwölf Millionen im vergangenen Jahr auf 17 bis 20 Millionen, die 2030 erreicht werden könnten, was die Einnahmen des Betriebs erhöht und den Ruhm der Aufsichtsräte mehrt. Andererseits müssen Aufsichtsratschef Winfried Hermann (Verkehrsminister) und sein Adjutant Fritz Kuhn (Oberbürgermeister) aber dringend etwas gegen den zunehmenden Flugverkehr unternehmen, wenn sie den Auftrag ihrer Wähler erfüllen wollen: das Klima schützen.

Ohne Pipeline fahren 7500 Tanklastzüge im Jahr an den Flughafen

Zielkonflikt nennt sich diese Krankheit, die im Blick auf den Flughafen noch einen weiteren Ausschlag hat. Die Kerosin-Pipeline, die den Treibstoff unterirdisch zu den Fliegern bringen soll, kann nicht gebaut werden. Der Grund: Etliche Grundstückseigentümer weigern sich, dem Bauherrn die Leitungsrechte zu geben. Die Konsequenz: 7500 Tanklastzüge fahren weiterhin jedes Jahr den Sprit zu den Flugzeugen, was einen Ausstoß von 750 Tonnen Kohlendioxid bedeutet. Tendenz steigend, weil, siehe oben, mehr Jets in Stuttgart starten.

Was also tun? Viele Politiker haben sich für ein modernes Fitnessprogramm entschieden: davonlaufen. Nach einer eingehenden Untersuchung übergeben sie ihre Wehwehchen entweder den Gerichten (Dieselfahrverbot) oder gleich dem Volk. Wie erfolgreich diese Behandlung ist, kann in Großbritannien besichtigt werden – und demnächst womöglich in Schwieberdingen. Dort will Porsche ein neues Werk bauen. Das Gute daran: Bosch liegt direkt daneben, was sich positiv auf die Lieferkette auswirken könnte und auch sonst ein Zeichen dafür ist, dass es nach wie vor Automobilindustrie in der Gegend gibt. Das Problem: Porsche braucht 15 Hektar Land. Weil es darob Kritik von Anwohnern und Umweltverbänden gibt, will Schultes Nico Lauxmann (CDU) die Bürger über das Projekt befinden lassen. Das Ergebnis: offen. Aber die eigenen Hände, das ist sicher, wird er in Unschuld gewaschen haben.

Die CDU will, dass OB Kuhn den Neckar sauber macht

Doch bisweilen nutzen selbst Mehrheiten nichts. Die Stuttgarter erleben das bei ihrem Lieblingsprojekt, der Neckarwelle. Viele Wasserfreunde und die meisten Stadträte wollen sie. Das Gesundheitsamt sagt Njet, weil zu viele Keime im Fluss sind. Die Bürger interessiert das nicht: Sie wählen die Neckarwelle auf Platz eins im Bürgerhaushalt. Die CDU surft mit und fordert in einem Antrag an die Grün-geführte Stadt: „Dass die Wasserqualität des Neckars aktuell unbefriedigend ist, darf kein akzeptierter Zustand bleiben.“ OB Kuhn soll „mit den Anrainerkommunen flussaufwärts eine Initiative zur deutlichen Verbesserung der Wasserqualität“ entwickeln.

Ob er damit auch die Kläranlagen und die Schifffahrt auf der Bundeswasserstraße abschaffen soll, ist noch offen. Der Therapieansatz der Union aber ist klar: Wasch mir den Pelz und mach mich nicht nass.