Mit dem Gig von Boiband ist am Samstagabend das Pop-Freaks-Festival 2018 zu Ende gegangen. Aus Kritikersicht gibt es nichts als Lob für das Kulturzentrum Merlin. Aber man muss auch über die Zuschauer reden.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Über das Finale des Pop-Freaks-Festivals im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin kann man nicht reden, ohne auch ein paar Worte zum Publikum zu verlieren. Es geht dabei weniger um die noch nicht zu Ende geführte Diskussion zur Popförderung. Die kommt ja nicht nur insolventen Festivalveranstaltern zugute, sondern ermöglicht auch das Pop Freaks und sein mit bewundernswerter Kennerschaft zusammengestelltes Programm. Die Frage ist eher: wie viel progressiven Pop verträgt Stuttgart überhaupt?

 

Die Berliner Gruppe Boiband war den meisten der 600 000 Stuttgarter offenbar zu queer, zu sperrig, zu viel Zukunft. Oder vielleicht sogar zu viel Jetzt? Schließlich ist sogar der Mainstream-Pop gerade dabei, Soundgrenzen neu auszuloten. Und dass Männer in Stöckelschuhen und Abendkleid auf die Bühne treten, soll sogar in Stuttgart vorkommen. Mit Ausnahme der gut dreißig anwesenden Zuschauer verpasste die Stadt am Samstag leider einen Auftritt, der dazu einlädt, live gespielte Popmusik neu zu denken – vor allem jenseits des von Boiband plakativ zur Schau gestellten Queer-Aktivismus.

Das begann bei der Instrumentierung mit selbst gebauten Instrumenten zwischen Harfe und Zither, mit mehreren Cellobögen gespielt und durch elektrische Effektschleifen gejagt. Es setzte sich bei den teils geloopten, teils mit rudimentärem Schlagwerk erzeugten Rhythmen fort, die sich jeder Kategorisierung entziehen. Und es endete mit einem offenbar ganz neuen Songfragment mit der Refrainzeile „Da wo ich wohne, ist es immer kalt“. Das war längst nicht perfekt, aber es war am Ende eines eher kurzen Sets jener Moment der Aufrichtigkeit, den man im Pop ja gerade erzeugen will.

Der Festivalkurator als Textsouffleur

Im Falle von Boiband wie auch schon einige Tage davor bei Ankathie Koi gelang das mit sperrigem Songwriting oder bewusst künstlichem Sound. Sophia Kennedy wurde per Stinkefinger in Richtung Publikum allzu menschlich – weil das Publikum sich über die Musik empörte. Mit Peter Muffin waren die örtliche Szene und ihre treuen Anhänger im Merlin versammelt und Erregung öffentlicher Erregung verkauften Kassetten, auf denen sich irrtümlicherweise Heavy Metal befindet statt Post Punk.

Die Zuhörer nahmen jeweils locker. Und auch am Samstagabend waren am Ende alle zufrieden. Das begeisterungsfähige Publikum klatschte Boiband für eine letzte Zugabe noch einmal auf die Bühne. Deren Sänger Hans Unstern bat den Pop-Freaks-Kurator Arne Hübner an die Bühne, der samt Handy als Textsouffleur für das Cover des Die-Heiterkeit-Songs „Auge“ diente, ehe Boiband alle Fans zu sich in den Tourbus einladen, wo es gegen Mitternacht gen Wendlingen ging – für ein Treffen mit Die Heiterkeit, die am selben Abend in der Manufaktur Schorndorf spielten. Vielleicht verträgt Groß-Stuttgart tatsächlich nur eine Band dieser Güte pro Abend?

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