Es ist nur ein Stück Masse im Mund, und doch ist es bis in die letzten Winkel der Zivilisation vorgedrungen. Mal als Pose, mal als Retter in der Not wurde das Kaugummi zum Begleiter unseres Lebens. Und das schon in der Steinzeit.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Zu behaupten, Kaugummi hätte den Lauf der Welt verändert, wäre vielleicht zu hoch gegriffen. Doch hat es sich zweifellos an die Fersen der Menschheitsgeschichte geheftet – vielmehr geklebt – und ist fortan weder wegzukriegen noch wegzudenken.

 

Ein Meilenstein seiner Geschichte war der 27. Juli 1869, als ein gewisser Amos Tyler aus Ohio ein Patent für eine „verbesserte Kaugummi-Verbindung“ zugesprochen bekam. Es gilt als das erste gewerbliche Schutzrecht für die klebrige Masse. Gekaut aber hatte die Welt schon lange vorher. Genau genommen schon in der Steinzeit.

Bis die Blase platzt: Wenn der Mensch isst, ist sein Überleben gesichert. Deshalb beruhigt schon das Kauen. Foto: Imago/Panthermedia

Frühgeschichtliche Klebemasse

Geschmacklich ist Pfefferminz der Renner unter den Kaugummi-Geschmackssorten. Foto: Imago/Panthermedia

Der älteste bekannte Kaugummi-Vorläufer ist mehr als 10 000 Jahre alt, wie die Ernährungssoziologin Pamela Kerschke-Risch von der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg erklärt. Damals kauten Menschen aus dem späten Neolithikum im heutigen Skandinavien auf dem Harz von Birken herum. „Da wird vermutlich vor allem der Kautrieb befriedigt worden sein“, sagt die Expertin. Wenn der Mensch isst, ist sein Überleben gesichert. Deshalb beruhigt schon das Kauen. Auch heute noch.

Prähistorisches Kaugummi wirft Licht auf Ernährung in der Steinzeit

So vielfältig wie die Farben . . .  Foto: Imago/Pond5 Images
. . . ist der Geschmack . .  Foto: Imago/Pond5 Images
. . . und die ästhetische Form nach dem Kauen . . . Foto: Imago/Pond5 Images
. . . der gummiartigen, klebrigen Masse. Foto: Imago/Pond5 Images

Einer jetzt erschienen Studie zufolge wirft die DNA auf einer vor 10 000 Jahren in Schweden von Jugendlichen benutzten Art „Kaugummi“ ein ganz neues Licht auf die Ernährung und Mundgesundheit in der Steinzeit.

Die Untersuchung des Erbguts habe ergeben, dass die Ernährung der Steinzeit-Teenager Rotwild, Forellen und Haselnüsse umfasste, erklärt Anders Götherström, Ko-Autor der am Dienstag (23. Januar) im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlichten Untersuchung. Auch seien Spuren von Äpfeln, Ente und Fuchs festgestellt worden.

Chewing Gum aus Birkenrindenpech

Kaugummi aus Birkenrindenpech? Gut für die Zähne, schlecht für den Geschmack. Foto: Imago/Zoonar

Die „Kaugummis“ bestehen aus Birkenrindenpech, einer teerartigen schwarzen Substanz, und wurden bereits vor 30 Jahren neben Knochen an einem archäologischen Grabungsort nördlich der schwedischen Stadt Göteborg entdeckt. Die Fundstücke sind mit Speichel vermischt und zeigen deutliche Zahnabdrücke.

Höchstwahrscheinlich wurde das Birkenpech zerkaut, um es „als Kleber“ für Werkzeuge und Waffen zu nutzen, erklärt Götherström. Die Menschen könnten die Stücke aber auch gekaut haben, „weil sie es mochten oder weil sie dachten, dass sie einen medizinischen Zweck haben“, fuhr er fort. „Es gab mehrere Kaugummis, und sowohl Männer als auch Frauen kauten sie. Die meisten von ihnen scheinen von Teenagern gekaut worden zu sein.“

So stand es um die Zahngesundheit der Steinzeitler

Zahle, drehe, kaue: Die gab’s in der Steinzeit noch nicht – Kaugummi-Automaten. Foto: Imago/Zoonar

Im Jahr 2019 hatte eine Studie sich bereits mit dem genetischen Profil der Menschen befasst, die die „Kaugummi“-Proben im Mund hatten. In der jetzigen Studie konnten Götherström und sein Team von Paläontologen der Universität Stockholm anhand der DNA Teile der Ernährung, aber auch der Zahngesundheit der Kauenden bestimmen.

In einem von einer Jugendlichen gekauten Stück fanden die Forscher „eine Reihe von Bakterien, die auf einen schweren Fall von Parodontitis“, also einer Zahnfleischentzündung, hinwiesen, berichtet Götherström. Die Frau dürfte ihre Zähne demnach kurz nach dem Kauen des Gummis verloren haben. „Es muss auch wehgetan haben.“, fuhr der Wissenschaftler fort.

Info: Kleine Geschichte des Kaugummis

Klebrige Gummis
Das Kaugummi schaffte es nicht nur zu den größten Sportveranstaltungen der Welt, sondern auch in Ausstellungshallen, Konferenzräume, auf Konzerte und die letzten Winkel der Erde. Selbst im Weltraum wurden Blasen gepustet bis es knallte. Soldaten bekamen das klebrige Gummi im Krieg zwischen die Zähne. Und nach dem Sieg über Nazi-Deutschland verteilten US-Kämpfer nicht nur Zigaretten, sondern auch Kaugummis an die Bevölkerung.

Geschmack
Doch es geht nicht nur um coole Pose, sondern auch um Geschmack. Pfefferminz ist seit langem der Dauerbrenner im Angebot, doch es gibt so ziemlich alle Sorten. Einige braucht man nur zu riechen, und schon fühlt man sich ins Ferienlager zurückversetzt. Man kaute eins nach dem anderen und hoffte etwa, dass das Schicksal einen auf den Sitzplatz neben dem Mädchen mit dem süßen Pony katapultiert. Spezialkaugummis helfen Menschen auch dabei, mit dem Rauchen aufzuhören oder lindern den Schwindel beim Reisen. Und wenn im Flugzeug der Druckausgleich auf die Ohren geht, kann das Kauen Wunder wirken.

Inhaltsstoffe
Apropos Füllung: Was in Kaugummis drin ist? Schon in der Spätsteinzeit waren Kaugummis beliebt. Damals wurden sie aus Baumharz etwa von der Birke hergestellt. Heute ist die Kaugummibasis – auch Kaumasse genannt – ein Mix aus verschiedenen petrochemischen Grundstoffen: Kunststoffe wie Polyisobutylen und Polyvinylacetat (Ausgangsstoffe für Dichtungsmasse, Pflasterkleber und Sprengstoff), 50 bis 70 Prozent Zucker, Füllstoffe wie Aluminiumoxid sowie Kieselsäure und Zellulose. Nicht zu vergessen Weichmacher, Feuchthaltemittel, Antioxidantien, Aromen, Säuren, Farbstoffe und Emulgatoren.

Weder gesund noch natürlich
Die Inhaltsstoffe sind weder gesundheitsförderlich noch natürlich. Sei’s drum! Kaugummis haben eine äußerst anregende Wirkung, was aber nicht mit den Ingredienzien zu tun hat, sondern mit der durch das Dauerkauen ausgelösten mechanischen Bewegung der Kaumuskulatur. Dies verbessert nämlich die Blutversorgung des Kopfes und damit die Blut- und Sauerstoffversorgung des Gehirns. Zudem wird die dicht mit Nerven durchzogene Mundhöhle durch die Reizung angeregt und zugleich entspannt. Und das schon seit der Steinzeit.