Die erste Jubiläumsshow im 30-Jahr-Bestehen des neuen Friedrichsbau Varietés ist so kurzweilig wie freizügig, denn viel weniger als die Burlesque-Tänzerin Coco Belle kann man nicht an haben.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Im Gegensatz zu Freibeutern und Freimaurern sind Freigeister selbst in diesen umstrittenen Zeiten noch relativ unbelastet. Insofern darf „Cirque“, die erste neue Show im 30-Jahr-Bestehen des neuen Friedrichsbau Varietés, ganz unschuldig „Theater der Freigeister“ im Untertitel heißen. Bei einigen Darbietungen könnte man aber auch von einem Theater der Freikörper sprechen, allen voran beim finalen Striptease von Coco Belle.

 

Mit Federboa, oder auch ganz ohne

Die Londoner Burlesque-Tänzerin spielt neben dem Zirkusfamilienoberhaupt Merlin Johnson eine zentrale Rolle in der Jubiläumsshow. Sie kommt von irgendwoher nach irgendwohin in ein Amerika der 50er Jahre, wo sie hinter den Kulissen eines Wanderzirkus’ als Fremde freundlich aufgenommen wird. Coco hat nur ein Köfferchen dabei, aber sie braucht auch nicht viel. Selten wird „weniger ist mehr“ so eindrucksvoll inszeniert wie in ihrem Burlesque-Tanz zu Benny Goodmans „Sing, Sing, Sing“, denn mit noch etwas weniger an wäre sie splitterfasernackt. Aber mit viel Verve und Witz beweist sie ebenso, wie geschickt sie deutlich besser bekleidet mit Federboas umgehen kann.

Ein Hauch von Burlesque weht auch durch andere Nummern, bei Lisa Chudalla mit Schwertschlucken und Nägel-in-die Nase-Hauen auf die ziemlich heftige Tour. Und das, was andere an Seilen und Tüchern machen, demonstriert sie schmerzfrei an der Kette, an der sie sich hinaufschraubt und wieder herunterwirbeln lässt. Jana Vogel, mit 19 Jahren die jüngste im Ensemble, macht hoch über den Köpfen im Aerial Hoop ähnlich atemberaubende Akrobatik. Zu Ofelia Greys zeitgenössischem Tanz fliegen mehr die Gegenstände durch die Luft, bis zu vier Jonglierstäbe, oder ganz klassisch Hula-Hoop-Reifen um ihren Körper.

Auch der Equlibrist Robert Best spielt gerne mit Reifen, allerdings mit Auto- und Lkw-Reifen, nimmt zur Stärkung zwischendurch einen ordentlichen Schluck Motoröl, weil seine einarmigen Handstände in der Waagrechten viel Kraft verbrauchen. Zwischendurch lässt er auch einfach mal nur die Bauch- und Pomuskeln spielen.

Das pralle, bunte Leben mit all seinen Schattierungen

Das ukrainische Duo Aleksandr & Vlad versteht sich bestens auf ikarische Spiele, in denen der eine mit den Füßen des anderen zu Salti und Schrauben durch die Luft geschleudert wird. Und dann wäre da noch Helmut, der eigentlich Collins lil. Brother, aber in Wirklichkeit noch ganz anders heißt. Mit seinem Slapstick kommt der nostalgische Charme der Show manchmal an seine Grenzen, denn diese Einlagen haben auch etwas von Alt-Herren-Humor.

Das fällt aber ebenso wenig ins Gewicht wie die Feststellung, dass nicht jeder Auftritt „Superlative und Rekorde“ bieten muss, worum es auch gar nicht gehe, wie der Conférencier Merlin Johnson findet, sondern mehr um „die Magie der Kreaturen“, oder sagen wir: um das pralle, bunte Leben mit all seinen Schattierungen. Er selbst versucht sich mit Helmut als zersägter Jungfrau oder der komischen Dressur eines Miniplüschlöwen.

Wie? Schon vorbei?

Bei „Cirque“ unter der Leitung von Hausregisseur Ralph Sun handelt es sich eben nicht nur um aneinander gereihte Nummern in einem mühsam konstruierten Rahmen, sondern um eine wunderbar organische Teamleistung in pittoresker Kulisse mit immer neuen Facetten. Und nach zwei Nettostunden: fragt man sich: Wie? Schon vorbei?

Termine Vorstellungen bis zum 2. Juni