Das Projekt hat sich in der Keplerstadt nach fünf Jahren Laufzeit nicht bewährt.
Weil der Stadt - Die Dinge sind teils gut und teils schlecht gelaufen“ – so beurteilte Bürgermeister Thilo Schreiber gestern nach Abschluss das Projekt Lebensqualität in Weil der Stadt, des bundesweit ersten dieser Art. „Woran liegt es?“ fragte er, „an Weil der Stadt oder am Projekt?“ Dietmar Becker, Geschäftsführer vom Entwicklungszentrum „Gut alt werden“ in Sindelfingen, der die Idee eines lokalen Internetportals für Dienstleistungen aller Art in die Keplerstadt gebracht hatte, sah es entspannter. „Wir wollten Dinge ausprobieren“, sagte er, „wir waren ergebnisoffen.“
Im Jahr 2012 – damals war Hans-Josef Straub noch Bürgermeister – kam Dietmar Becker auf die Stadt zu mit der Idee, für die Bürger eine Online-Plattform aufzubauen. Auf diese sollten sowohl Angebote der Gewerbetreibenden im Ort als auch ehrenamtliche Dienstleistungen eingestellt werden. „Warum bei Amazon einkaufen, wenn man auch bei lokalen Geschäften bestellen kann?“, sei eine Grundidee gewesen, so Becker. Jeder Bürger solle rund um die Uhr einen schnellen Zugang zu den Dienstleistungen im Ort bekommen.
Zwar wurde dieses Portal mit der vom Competence Center Independent Living der Universität St. Gallen entwickelten Software sowie mit finanzieller Unterstützung verschiedener Förderer, unter anderem der Keppler-Stiftung, aufgebaut. Doch vor allem die gewerblichen Angebote und die Nachfrage im Web-Shop ließen zu wünschen übrig. Es habe sich gezeigt, so Becker, dass wohl die Mehrzahl der Dienstleister vor Ort nicht auf das Geschäft via Internet vorbereitet sei. Auch bei den Bürgern herrsche Skepsis vor. Die Suche nach dem richtigen Handwerker erfolge in einer Gemeinde wie Weil der Stadt häufig über Mund-zu-Mund-Propaganda, sagte Thilo Schreiber. Und Emilio Diaz Ocampo, Gemeinderat der Freien Wähler, ergänzte, dass es in der Stadt noch rund 150 Vereine gebe. „Da ist fast jeder mit jedem irgendwie vernetzt.“
Becker: „Vorteile der Digitalisierung sind bei den Bürgern noch nicht angekommen“
Die Gemeinderätinnen Brigitte Benzinger-König (FDP) und Cornelia Schmalz (SPD) sahen Weil der Stadt für ein solches Projekt noch nicht reif. „Vor allem für die anfängliche Zielgruppe der ,Hochaltrigen’“, so Benzinger-König, sei es schwierig gewesen. Doch man könne auf die Erkenntnisse aufbauen und die Sache weiterentwickeln, sagte Cornelia Schmalz.
Trotz eines ständig weiterentwickelten Internet-Portals sei die Nutzung hinter den Erwartungen zurückgeblieben. „Die Vorteile der Digitalisierung sind bei den Bürgern noch nicht angekommen“, sagte Dietmar Becker. Und der Bürgermeister fügte hinzu: „Wir hatten auch manchmal den Eindruck, das kommt nicht richtig rüber. Wir haben das Projekt nicht zum Laufen gebracht.“ Dabei habe er „gebetsmühlenartig“ die Gewerbetreibenden ermuntert, mitzumachen. Martin Weweler, der zweieinhalb Jahre Ansprechpartner für das Lebensqualität-Projekt vor Ort war, ergänzte, dass das Internet für viele Menschen zwar das Tor zur Welt sei, aber nicht in die eigene Stadt. Damit würden auch Chancen vertan.
Lebensqualität gibt es nicht umsonst
Hakte es im Bereich der gewerblichen Angebote ordentlich, so gab es im Bereich des Ehrenamtes nach anfänglichen Schwierigkeiten einige Erfolge. Das vom Stadtseniorenrat angebotene Seniorenmobil sei über die Plattform gut angenommen worden, das Projekt Lebensqualität habe sich um die nötige Infrastruktur gekümmert. Die beim Verein Miteinander-Füreinander angesiedelte Tauschbörse sei mit der Fachstelle für bürgerschaftliches Engagement weiterentwickelt worden. Auch habe man die Neustrukturierung des bürgerschaftlichen Engagements mitangestoßen, etwa mit der Zukunftswerkstatt im Jahr 2016, sagte Martin Weweler, der seit Mai die Sozialstation leitet.
Trotz aller Schwierigkeiten fällt nach Ansicht von Projektleiter Dietmar Becker die Bilanz positiv aus. Für künftige Projekte sei es wichtig, dass Kommune und Bürgermeister von Beginn an eine leitende Funktion einnehmen. Die Akteure des bürgerschaftlichen Engagement und die Gewerbetreibenden müssten frühzeitig eingebunden und im Umgang mit digitalen Medien geschult werden.
Lebensqualität gibt es nicht zum Null-Tarif. Das gilt auch für das beendete Projekt. Rund 320 000 Euro, davon 260 000 Euro Personalkosten, mussten die Unterstützer dafür berappen. Dazu kommen noch die Aufwendungen der Uni St. Gallen. Die Stadt selbst kam auf einen Betrag von 25 000 Euro zu Lasten der Stadtkasse.