Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen vor allem in Bayern geht einer neuen Studie zufolge zu einem unerwartet hohen Teil auf oberirdische Atomwaffenversuche aus den 1950er Jahren zurück – und damit nicht nur auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen vor allem in Bayern geht einer Studie zufolge zu einem unerwartet hohen Teil auf Atomwaffenversuche zurück und damit nicht nur auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl.

 

Wo findet sich der Fallout?

Radioaktive Rückstände finden sich bis heute vor allem in Pilzen. Foto: Imago/Panthermedia
Cäsium-137 ist aber auch in Wildbret etwa von Wildschweinen nachzuweisen. Foto: Imago/Frank Sorge

Der sogenannte Fallout (also der radiaktive Niederschlag infolge der atomaren Explosionen) habe sich weltweit verteilt und auch in Bayern und Baden-Württemberg Niederschlag gefunden, erläutern die Wissenschaftler im Fachmagazin „Environmental Science & Technology“. Teils stammten zwei Drittel des radioaktiven Cäsiums in den untersuchten Tieren aus Atomwaffenversuchen, die vor allem in den 1950er Jahren oberirdisch gezündet wurden.

Die Forscher um den Radioökologen Georg Steinhauser von der Technischen Universität Wien hatten rund 50 in Bayern erlegte Wildschweine aus den Jahren 2019 bis 2021 untersucht und dabei eine Belastung mit dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 von 370 bis zu 15 000 Becquerel pro Kilogramm festgestellt. Damit wurde der EU-Grenzwert für den Verzehr um das bis zu 25-fache überschritten. Er liegt bei 600 Becquerel.

Welche Auswirkungen hat Cäsium-137?

Bisher sei angenommen worden, dass der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 die Hauptquelle für Cäsium-137 in freier Wildbahn sei, erklären die Wissenschaftler um Steinhauser. Nun aber stellten sie bei einer detaillierten Analyse der Isotope fest, dass das bei Atomwaffentests entstandene Cäsium-137 erheblich zur Belastung der Wildschweine beiträgt. Es sei die erste Studie, die das Cäsium aus Atomwaffentests quantifiziere, betont Steinhauser.

Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das nicht in der Natur vorkommt. Es kann sich nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) im Knochengewebe einlagern und dort das Erbgut schädigen. Langfristig kann das zu Knochenkrebs und Leukämie führen.

Jäger und auch Pilzsammler sollten sich über ihre zusätzliche Strahlendosis durch den Verzehr von Wildpilzen und Wildbret informieren, rät das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf seiner Internetseite.

Sind Atomtests inzwischen verboten?

Nach der Explosion einer französischen Atombombe am 30. November 1970 schwebt dieser riesige Atompilz über dem Mururoa-Atoll. Foto: dpa

Ein Abkommen, das oberirdische Kernwaffenversuche verbietet, gibt es schon seit 1963, unterzeichnet von den USA, Großbritannien und der Sowjetunion. Das Moskauer Atomteststoppabkommen sollte Tests in der Atmosphäre, im Weltraum oder unter Wasser verhindern, um Mensch und Umwelt vor radioaktiver Verseuchung zu schützen. Doch längst nicht alle Staaten sind ihm beigetreten, darunter Nordkorea.

Ein umfassendes Verbot auch unterirdischer Tests sieht der 1996 verabschiedete Atomteststopp-Vertrag CTBT vor. Er kann aber erst in Kraft treten, wenn ihn alle Staaten ratifiziert haben, die über Atomtechnologie verfügen. Das haben mehr als 40 bisher nicht getan.

Welche Auswirkungen hätte ein weiterer Atomwaffentest?

Alle bisherigen Nukleartests in der Atmosphäre hätten zusammen so viel Energie freigesetzt wie 29 000 Hiroshima-Bomben, zählt die Organisation für die Überwachung des Atomteststopp-Vertrages CTBTO.

Neben den geopolitischen Konsequenzen wären von einem weiteren oberirdischen Atomwaffentest auch Mensch und Natur betroffen. Radioaktivität kann zu Zellmutationen und damit zu Krebs führen. Über dem Meere gezündet würde die radioaktive Strahlung Fische und andere Lebewesen kontaminieren. Radioaktivität könnte so in die Nahrungskette gelangen.

Gibt es Zahlen zu Opfern von Nuklear-Tests?

Keine genauen. Laut CTBTO ist es schwierig, genaue Todeszahlen wegen radioaktiver Kontaminierung zu erheben. In einer Studie von 1991 schätzt die Anti-Atomwaffen-Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), dass die Zahl der Krebstoten wegen Verstrahlung nach Nukleartests bis zum Jahr 2000 bei 430 000 liegen und in den Jahren danach noch auf bis zu 2,4 Millionen steigen könnte.

Wie viele Atomwaffentests hat es seit 1945 gegeben?

Seit 1945 mehr als 2000, überwiegend durch die USA und Russland. Beide stoppten ihre Tests – so wie Großbritannien – zu Beginn der 1990er Jahre. Frankreich und China schlossen sich 1996 an, Indien und Pakistan folgten 1998. Alle jüngeren Atomtests gehen auf das Konto des Regimes in Nordkorea, sechs seit Oktober 2006.

Info: Kernwaffen-Technik

Atombombe
Als „Vater“ der Atombombe gilt der Amerikaner Robert Oppenheimer. Die Atombombenabwürfe am 6. und 9. August 1945 auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki beendeten den Zweiten Weltkrieg in Asien. Atomwaffen werden mit radioaktivem Plutonium oder Uran hergestellt.

Wasserstoffbombe
Die Wasserstoffbombe, auch H-Bombe (Hydrogen Bomb)genannt, wurde unter Leitung von Edward Teller in den USA entwickelt und erstmals 1952 auf einem Atoll im Pazifik gezündet. Die Sprengkraft ist um ein Vielfaches größer als bei einer Atombombe. Sie setzt Energie aus einer Kernverschmelzung frei. Bei dieser Fusion verschmelzen unter anderem die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium. Zur Zündung des Gemischs sind mehr als 100 Millionen Grad erforderlich. Deshalb enthält eine H-Bombe als Zünder eine Atombombe.

Neutronenbombe
Neutronenwaffen vernichten Lebewesen bei geringen Materialschäden. Beruht die Wirkung herkömmlicher Atomwaffen vor allem auf der Druck- und Hitzewelle, geben Neutronenwaffen die meiste Energie in Form harter Neutronenstrahlung ab. Sie führt je nach Intensität innerhalb von Minuten oder Wochen zum Tod. Gebäude bleiben unversehrt. Der Fallout der 1958 von dem Amerikaner Samuel Cohen entwickelten Waffe ist gering: Einen Tag nach der Explosion kann das betroffene Gebiet gefahrlos betreten werden.

Kobaltbombe
Bei einer Kobaltbombe werden große Mengen eines stabilen Isotops 59Co (Co steht für englisch Cobalt) im Mantel einer Kernspaltungs- oder Fusionsbombe (Atombombe beziehungsweise Wasserstoffbombe) verbaut. Durch die bei der Explosion freigesetzten Neutronen wird das 59Co in das radioaktive 60Co umgewandelt. Die radioaktive Verseuchung ist so stark und dauerhaft, dass menschliches Überleben außerhalb von Bunkern unmöglich ist. Die Strahlung einer solchen Bombe würde die einer herkömmlichen Wasserstoffbombe in den ersten fünf Jahren nach der Explosion um das 150-fache übertreffen.

Schmutzige Bombe
Die Bezeichnung „schmutzige“ oder „radiologische Bombe“(englisch: Dirty Bomb) bezieht sich auf die Wirkweise dieser Nuklearwaffe. Radioaktives Material soll mittels konventioneller Sprengstoffe am Explosionsort verbreitet werden, um die Umgebung zu kontaminieren. Eine Kernreaktion findet nicht statt, weil diese Bombe nicht genügend spaltbares Material für die kritische Masse oder keinen geeigneten Zündmechanismus besitzt. Ziel ist, eine Gegend für lange Zeit radioaktiv zu verseuchen und unbewohnbar zu machen.