Manche Landkreise und Kommunen würden ihre Präsidien gerne behalten. Die Reform wird als Angriff auf die Kreis- und Gemeindestruktur gesehen.

Stuttgart - Es ist noch keinen Monat her, da verkündete Innenminister Reinhold Gall (SPD) seine Reformpläne – die womöglich weitreichendste Reform, die Gesetzeshüter im Südwesten je erlebt haben. Es wundert wenig, dass Gall der Wind des Widerstands ins Gesicht bläst. Nicht nur unter den knapp 24 000 Polizeibeamten im Land macht sich Unmut breit. Auch in den Kommunen und Landkreisen will man ungern auf die lieb gewonnene Polizeidirektion verzichten. Der Vorwurf: für Bürger und Behörden könnten künftig Anfahrten von bis zu hundert Kilometern nötig werden. Vorgesehen ist, die vier Landespolizeidirektionen zusammen mit den 34 Polizeidirektionen und drei Präsidien in den Großstädten Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe aufzulösen. An ihrer Stelle sollen zwölf regionale Polizeipräsidien geformt werden. Zwischen 1500 und 2000 Polizeibeamte sollen unter ein Dach zusammengefasst werden. Zentralisiert werden soll etwa die Kriminal- und die Verkehrspolizei, der Staatsschutz sowie Spezialeinsatzkräfte.

 

Gall verspricht sich 650 neue Stellen, die auf den 146 Revieren je zur Hälfte dem Streifendienst und der Kriminalpolizei zugeschlagen werden sollen. Näheres wird vor Ostern zu erfahren sein, wenn diverse Arbeitsgruppen getagt haben.

Neben der reflexhaften Abwehr der Pläne durch die schwarz-gelbe Landtagsopposition – der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl sprach von einer „kolossalen Zentralisierung“ – macht der wachsende Widerstand innerhalb der Polizei den Reformern zu schaffen. So bezweifelt etwa der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lautensack, offen den Sinn, weshalb ausgerechnet die baden-württembergischen Ordnungshüter, die im bundesweiten Vergleich eine „allerbeste Leistungsbilanz“ aufzuweisen hätten, nun völlig umgekrempelt werden müssten. Die Reformvorschläge seien vielleicht noch aus „fachtheoretischer Sicht nachvollziehbar“, gingen aber an der Lebenswirklichkeit der baden-württembergischen Sicherheitsphilosophie“ völlig vorbei. Die Schaffung von „Megabehörden“ und die „Zerschlagung einer überaus leistungsfähigen Bereitschaftspolizei“ mute da „überzogen und wenig überzeugend“ an.

Pläne nicht ausgereift

Auch in den Reihen der Kriminalpolizei hält man die Pläne für nicht ausgereift. Hier fürchtet die Gewerkschaft lange Fahrtstrecken vom neuen Dienst- zum weit entfernten Tatort. Intern dürften sich gestandene Kommissare zu „Sachbearbeitern zweiter Klasse degradiert“ fühlen, da Führungsstellen fehlten. Die hochmotivierten Kollegen seien „stark verunsichert“, hießt es in einem internen Papier.

Zuletzt meldete sich auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Er begrüße die Strukturreform zwar „grundsätzlich“, doch man möge doch bitte bedenken, dass eine allzu große Entfernung der Polizeipräsidien von den regionalen Bedürfnissen und Anliegen der Menschen „sehr bedenklich“ sei. „Wir können uns keine Kriminalpolizei oder Verkehrspolizei wünschen, die zwei Stunden durch den halben Regierungsbezirk fährt, um vor Ort zu sein“, sagte Palmer.

Er befürchtet, dass für den Regierungsbezirk Tübingen „lediglich zwei“ Präsidien übrig bleiben werden. Palmer schlägt stattdessen „eine geringfügige Anhebung der künftigen Anzahl der Polizeipräsidien“ vor. Statt der geplanten zwölf könnte er sich 14 Ordnungsbehörden vorstellen.

„Angriff auf die Kreis- und Gemeindestruktur“

Vom Städtetag über den Landkreistag bis zum Gemeindetag liegen negative Voten vor. Allgemein teilen die Städte und Gemeinden zwar die grundsätzlichen Ziele – mehr Präsenz der Polizei in der Fläche und sich den neuen Herausforderungen der Kriminalitätsbekämpfung zu stellen –, doch wird die Reform von den Kommunalverbänden als „Angriff auf die jahrzehntelang gewachsene Kreis- und Gemeindestruktur“ begriffen, und die sei nun einmal leistungsfähig und bürgernah, wie es Helmut Jahn, Präsident des baden-württembergischen Städtetages, formulierte.

Schützenhilfe bekommt Innenminister Reinhold Gall von seinem Amtsvorgänger in der Großen Koalition (1992–1996), Frieder Birzele. Gall vollende, was er schon 1995 vorbereitet habe. Doch Birzeles Reform blieb in den Anfängen stecken, wie er sich schmerzvoll erinnerte. Gescheitert am Widerstand von Regierungschef Erwin Teufel (CDU) und an den Kommunen im Südwesten, die einen „Sturm der Entrüstung“ entfacht hätten.