Silke Stürmer ist Pfarrerin und Filmemacherin. Sie erzählt zum internationalen Roma-Tag, wie sie sich in diesen beiden Funktionen für Sinti und Roma einsetzt, welche Klischees ihr begegnen – und von welchen schlimmen Schicksalen sie erfahren hat.

Ein Kind wird auf dem Schulhof zusammengeschlagen und kein Lehrer schreitet ein. Einer jungen, obdachlosen Frau wird auf dem Amt gesagt, dass es ihren Kindern doch nicht schade, im Park zu schlafen. Eine 92-Jährige leidet noch heute darunter, dass sie von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert wurde. Pfarrerin Silke Stürmer kann viel darüber erzählen, wie es Sinti und Roma im Land ergeht. „Sie werden immer noch diskriminiert“, sagt die Beauftragte der Evangelischen Landeskirche für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma zum Internationalen Tag der Roma an diesem Freitag. Ohne lange zu zaudern hat sie diese in Deutschland einmalige Stelle im vorigen Herbst angenommen: „Ich halte das für eine richtig sinnvolle Arbeit“, sagt die 54-Jährige aus Winterbach (Rems-Murr-Kreis). Sie befasst sich schon seit zwei Jahren intensiv mit dem Alltag von Sinti und Roma, arbeitet an einem Dokumentarfilm über die anerkannte nationale Minderheit.

 

Rund 12 000 Sinti und Roma leben in Baden-Württemberg

Seitdem hat sie Einblick in die Situation der 12 000 Sinti und Roma in Baden-Württemberg. Zum Beispiel hat sie von dem Fall des zusammengeschlagenen Kindes erfahren. Die Geschichte sei natürlich extrem. „Aber sie zeigt, warum Roma-Eltern Angst haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken“, erzählt Silke Stürmer. Auch auf Behörden, bei der Arbeits- und Wohnungssuche würden Sinti und Roma Diskriminierungen erleben. Woran das liegt? „Wenn ich von meiner Arbeit erzähle, dann werde ich oft nach Klischees gefragt“, erzählt die 54-Jährige. Die Vorurteile über „kriminelle und dreckige Zigeuner“ seien fest verankert in den Köpfen. „Viele haben mit Nichtwissen zu tun“, sagt Silke Stürmer, die Aufklärungsarbeit als ihre wichtigste Aufgabe ansieht und mit Klischees aufräumen möchte.

Vorurteile gegenüber Sinti und Roma sind stark verankert

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Das ist auch Ziel ihres Films. Darin erzählt zum Beispiel Magdalena Guttenberger, die in die Familie einer Auschwitzüberlebenden eingeheiratet hat, vom Alltag im Ravensburger Ummenwinkel. Das eingezäunte „Zigeunerlager“ war 1937 von den Nationalsozialisten eingerichtet worden. Nach dem Krieg und noch bis 1984 lebten Roma und Sinti dort unter widrigsten Umständen. Trotzdem: „Die Bewohner haben sich bemüht, stets sauber zu sein. Manche erzählen, dass sie im Anzug zur Schule mussten, aus Angst nicht ordentlich zu sein“, berichtet Silke Stürmer.

Die Bildungssituation wird besser, das Misstrauen ist immer noch groß

Apropos Schule: die meisten Kinder von Sinti und Roma seien lange automatisch auf Hilfsschulen geschickt worden. „Die Bildungssituation hat sich in den letzten Jahren aber deutlich verbessert“, sagt Silke Stürmer. Ohne Schulabschluss sind laut der RomnoKher-Studie von 2021 noch rund 15 Prozent der 18- bis 25-Jährigen, bei den Über-51-Jährigen hat weit mehr als die Hälfte keinen Abschluss. Stürmer berichtet, dass es sehr erfolgreiche Sinti und Roma gibt, die als Ärzte oder Juristen arbeiten, die aber ihre Zugehörigkeit zu der Minderheit verschweigen. „Es ist schon die Angst da, dass Nazis mitbekommen könnten, wo man wohnt“, erzählt Silke Stürmer. Für sie ist das völlig nachvollziehbar: „Immerhin sind 500 000 Sinti und Roma in der NS-Zeit umgebracht worden. Das waren 95 Prozent.“ Die Kirche sieht Silke Stürmer vor diesem Hintergrund in einer besonderen Verantwortung. Man habe die Taufbücher geöffnet und so den Nazis die Verfolgung erleichtert: „Sie mussten die Menschen nur einsammeln.“ Das Vertrauen sei immer noch nicht wiederhergestellt.

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Zum internationalen Roma-Tag am 8. April gibt es in Stuttgart um 15 Uhr im Hotel Silber einen Film mit Diskussion. Das komplette Programm unter https://theateramolgaeck.org/