Um 120 Millionen Euro streitet die EnBW mit dem russischen Lobbyisten Andrey Bykov. Der sagt, der Energiekonzern wolle damit von „Management-Problemen“ ablenken.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Schlüsselfigur der Russland-Affäre bleibt in der Deckung. Nein, lässt Andrey Bykov ausrichten, zum Rechtsstreit mit der EnBW werde er sich nicht in den Medien äußern. Dann dürfen seine Karlsruher Anwälte der StZ doch eine Stellungnahme übermitteln. Ihr Inhalt: Es gehe nur vordergründig um jene 120 Millionen Euro, die der Energiekonzern von zwei Schweizer Firmen des Lobbyisten zurückfordert. Man verfüge über Unterlagen, wonach „bei der EnBW in den vergangenen Jahren Fehler begangen wurden, welche dem Konzern weit größeren Schaden verursacht haben“. Die Bykov-Firmen sollten offenbar nur „als Sündenböcke herhalten, damit das EnBW-Management von eigenen Verfehlungen ablenken kann“. Sobald der Konzern seine „erheblichen Schwierigkeiten im Management-Bereich behoben“ habe, verbleibt der Russe, wolle man die langjährige „hervorragende Zusammenarbeit“ gerne fortsetzen.

 

Davon sind die einstigen Partner derzeit weit entfernt. In drei Schiedsverfahren verlangt die EnBW von dem schillernden Geschäftsmann ihre Millionen zurück. Begründung: das Geld sei für Leistungen im kerntechnischen Bereich geflossen, die dann nicht erbracht wurden. Es gehe um die Lieferung von Uranbrennstäben, die Überwachung von Nuklearmaterial und den Rückbau des Kernkraftwerks Obrigheim. Falsch, widerspricht Bykov in einer beim Landgericht Karlsruhe eingereichten Zivilklage: Man sei für Lobbyarbeit in Russland bezahlt worden, und das „absolut marktüblich“. Über die beiden Schweizer Firmen – Eurepa Suisse und Pro Life Systems – habe sich die EnBW seit Jahren um Zugang zu russischem Gas bemüht. Belegen könne man all das mit einer „hervorragende Dokumentation“.

Claassen stützt die EnBW-Version

Aussage steht also gegen Aussage, wobei vordergründig weniger für Bykovs Version spricht. Warum, wenn er sich seiner Sache so sicher ist, wird die Klage wegen eines nicht gezahlten Gerichtsvorschusses bis heute zurückgehalten? Weil sie nur „taktisch motiviert“ sei, sagt die EnBW. Auch der frühere Konzernchef Utz Claassen, in dessen Amtszeit die zwischen 2005 und 2008 abgeschlossenen Verträge überwiegend fallen, stützt die Version der Karlsruher. Er kenne zwar Bykov, aber nicht die Verträge mit ihm und habe sich nie um Zugang zu russischem Gas bemüht, versichert sein Anwalt. Weder habe es einen entsprechenden Beschluss des Konzernvorstandes gegeben, noch sei Claassen dort für Gas oder für Auslandsaktivitäten zuständig gewesen. Für „Scheingeschäfte“, von denen Bykov spricht, sei er schon gar nicht zu haben.

Und doch deuten zahlreiche Merkwürdigkeiten und Widersprüche rund um die EnBW darauf hin, dass noch längst nicht die ganze Wahrheit auf dem Tisch ist. Schon Claassens Vorgänger Gerhard Goll versuchte 2002 mit Bykovs Hilfe, günstig an russisches Gas zu kommen; der Lobbyist habe dafür zehn oder elf Millionen Euro bekommen. Der amtierende Konzernchef Hans-Peter Villis nahm zu Beginn seiner Amtszeit einen neuen Anlauf, wie er kürzlich vor Journalisten bestätigte. Er habe ihn nach einigen Monaten wieder abgebrochen, weil das Investitionsvolumen die EnBW überfordert hätte. Ausgerechnet Claassen, der Mann mit den besten Russlandkontakten unter den dreien, soll das fürs Gasgeschäft zentrale Riesenland links liegen gelassen haben? Schwer vorstellbar. Sein unter höchster Diskretion mit einem kleinen Team vorangetriebenes Projekt sei kurz vor dem Durchbruch gestanden, sagen Insider mit tiefem Einblick ins Unternehmen. Er selbst will davon nichts wissen.

Warum wurden Millionen vorab bezahlt?

Seltsam erscheint auch, warum es bei der seit vielen Jahren reibungslosen Zusammenarbeit mit Bykov im kerntechnischen Bereich plötzlich Probleme gegeben haben soll. Warum wurden überhaupt Millionenbeträge vor erbrachter Leistung bezahlt? Warum über die Schweiz, was nach Verschleierung riecht, warum zumindest teilweise – entgegen allen Usancen – per Scheck? Was hat es mit dem angeblichen Darlehen auf sich, das den Bykov-Firmen gewährt wurde? Warum saßen hochrangige EnBW-Vertreter in den Gremien anderer Schweizer Unternehmen des Russen? Auf diese Fragen bleibt die EnBW derzeit Antworten schuldig, mit Verweis auf die laufenden Verfahren.

Viel zur Aufklärung beitragen könnte der Technikvorstand Hans-Josef Zimmer, der wegen der Russlandaffäre zeitweise abgelöst war und erst zum Jahreswechsel wieder bestellt wurde. Doch für die Medien ist Zimmer nicht zu sprechen. Gegenüber Gesprächspartnern aus Politik und Wirtschaft gab der als geradlinig geltende Atommanager dafür immer wieder zu erkennen, dass er sich als Bauernopfer sieht. Glaubhaft referierte Äußerungen wie die, er werde notfalls die wahren Hintergründe offenlegen und habe die fraglichen Unterschriften auf Wunsch Dritter geleistet, denen zufolge „alles geprüft“ worden sei, hat Zimmer persönlich nie dementiert; nur das Unternehmen widersprach. Alleine die These, er habe bei den Geschäften nur als „Erfüllungsgehilfe“ gedient, wies der Vorstand auch selbst zurück: Er sei damals Geschäftsführer der EnBW-Kernkraft-Gesellschaft gewesen, also der zuständige Verantwortliche.

Der Technik-Vorstand weiß wohl zuviel

Formal stimmt das. Deshalb verklagt die EnBW ihn und drei Kollegen - den früheren Technikvorstand Thomas Hartkopf und die Atommanager Wolfgang Heni und Konrad Schauer – auch auf zweistellige Millionenbeträge. Dass Zimmer dessen ungeachtet als Vorstand wiederbestellt wurde, warf prompt die Frage auf, ob er zu viel wisse. Seltsam wirkte schon, dass er lediglich pro forma suspendiert war, aber alle Aufgaben behielt. Zu viel weiß womöglich auch sein pensionierter Exkollege Heni, der seit Jahrzehnten die Russland-Kontakte der EnBW und ihrer Vorläufer pflegte. Von ihm verlangt der Konzern den höchsten Betrag, rund 90 Millionen Euro. Heni, der ebenfalls schweigt, soll jener Manager sein, der nach Angaben von Insidern bei der internen Befragung durch die EnBW-Anwälte zunächst recht freimütig ausgepackt habe. Später sei ihm dann bedeutet worden, er solle besser auf die andere, offizielle Version einschwenken; damit könnten alle Beteiligten am besten leben. Prompt habe Heni seine Aussage zurückgezogen und korrigiert. Die EnBW äußerte sich zu einem solchen Vorgang nicht, wies die These von einer inoffiziellen Version aber als „nicht nachvollziehbar“ zurück.

Bis in die frühere CDU-FDP-Landesregierung hinein hatte sich herumgesprochen, dass die EnBW in Russland ein „ganz großes Rad“ drehen wolle. Es gehe um Geschäfte in zweistelliger Milliardenhöhe, verlautete aus dem Kabinett Mappus, die freilich nur ohne die Franzosen als Großaktionär zustande kämen. Nicht von Gas war damals die Rede, sondern von einer groß angelegten Kooperation beim Rück- und Neubau von Kernkraftwerken, zusammen mit einem weiteren starken Partner. Gemeint war offenbar der Siemens-Konzern, zu dem Bykov schon früh Verbindungen pflegte. Spätestens mit dem Ausstieg der Münchner aus dem Atomgeschäft dürften solche Träume geplatzt sein.

Korruptionsaffäre wie bei Siemens?

Heute ist EnBW-intern wieder von Siemens die Rede, allerdings in einem anderen Kontext: Man habe es womöglich mit einer Korruptionsaffäre wie dort zu tun, werden hochrangige Verantwortliche zitiert. Die Grünen-Ministerin Silke Krebs bestätigte vor Journalisten sogar, dass es im Aufsichtsrat um das Thema Korruption gegangen sei; mehr dürfe sie wegen ihrer Schweigepflicht nicht verraten. Auch innerhalb der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), des zweiten Großaktionärs, kursiert der hässliche Verdacht. Dort und im Unternehmen ist schon länger von einer „Bombe“ die Rede, sollten die Vorgänge publik werden. Bykovs Anwälte dagegen sehen „keinerlei Hinweise auf Korruption“.

Nach Erwartung der EnBW werden sich „wesentliche Sachverhalte“klären, wenn im ersten Schiedsverfahren eine Entscheidung falle; damit sei schon recht bald zu rechnen. Noch mehr Licht ins Dunkel könnte die Staatsanwaltschaft bringen, die nach Bekanntwerden der „Scheingeschäft“-Vorwürfe eine Prüfung aufgenommen hat. Ob daraus ein förmliches Verfahren wird, entscheidet sich einem Sprecher zufolge keinesfalls vor Ostern; die Dinge seien sehr komplex. Derzeit prüfe man schwerpunktmäßig „im Hinblick auf steuerliche Sachverhalte“, mögliche Korruption oder Untreue könnten später beleuchtet werden. Erst wenn man einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt sehe, gehe es darum, wer in welchem Unternehmen verantwortlich sein könnte.

Bei der Kommunikation innerhalb der Justiz oder mit der EnBW scheint es indes zu hapern. Gleich nach dem ersten StZ-Bericht über Vorermittlungen ist der Konzern „von uns aus auf die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zugegangen“; man habe „selbstverständlich angeboten, den Sachverhalt darzulegen“. Doch bei der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität in Mannheim, die den Fall inzwischen übernommen hat, gab man sich ahnungslos. Ein solches Angebot sei „nicht bekannt“, sagte der Sprecher noch vor wenigen Tagen. Ein Gespräch mit der EnBW habe bisher nicht stattgefunden.