Stuttgart - Gelungene Architektur muss heutzutage kommunizieren, heißt es. Sie soll offen sein für ihre Umgebung, sich nicht abschotten, in jeder Hinsicht umweltfreundlich sein. Oft hört man dann von Architekten, dass es die Blickbeziehungen zwischen dem Gebäude und der Umgebung sind, die maßgeblich sind, damit ein Haus kommunizieren kann. Schon denkt jeder an Transparenz, an viel Tageslicht und neugierige Blicke. Man stellt sich bodentiefe Fenster vor, in denen sich die Stadt, ihre Menschen und der Himmel spiegeln.
Man schaut und schaut
Und dann steht man in einer stark frequentierten Straße in Stuttgart-Vaihingen an der Bushaltestelle vor dem Haus b – und starrt: auf eine schwarze Wand. Fensterlos. Und weil die Buslinie 82 die Leute warten lässt, geht die eine oder der andere umher, stellt sich vor dieses Haus mit der schwarzen Holzfassade, mit verschränkten Armen, mit den Händen in den Hüften. Und schaut. Und schaut.
Provokant und humorvoll
Dieses Haus macht neugierig – auch ohne bodentiefe Fenster. Wie eine Theaterkulisse, aus der gleich jemand herausspringen wird. Eine Kulisse im öffentlichen Raum, die provoziert, die humorvoll ist, die cool ist und genau deswegen niemanden kaltlässt. Kai Beck ist nicht nur der Architekt dieses außergewöhnlich kommunikativen Hauses mit dem extravagant geschnittenen Dach, er wohnt auch mit seiner Familie darin. Nach genau 96 Tagen Bauzeit war es bezugsfertig. 96 Tage! Sportlich.
Rätselhaftes Haus
Seitdem muss der 42-jährige Stuttgarter Fragen beantworten, die ungefähr so lauten: „Wann kommen endlich die Fenster?“ – „Ist das ’ne Scheune?“. Kai Beck findet, das sei spannend. Wenn wildfremde Menschen stehen bleiben. Das Gebäude und seine Bewohner nach der Funktion befragen. Und wenn Kai Beck dann – wie unlängst auf Bitten eines älteren Herrn geschehen – die Tür öffnet und zeigt, was sich hinter der schwarzen Fläche versteckt, dann weicht die Skepsis einem Staunen. Das rätselhafte Haus ist rückwärtig zur Natur ausgerichtet. Alles ist offen, keine Hecken oder Wände von Nachbarhäusern stören das Auge.
Effizientes Bauen
Vor dem abschüssigen Gelände steht man inmitten eines terrassierten Patios mit einem Apfelbaum in der Mitte, um den herum es sich sommers gut aushalten lässt. Und kann man auch gut schlafen – angesichts der zentralen Wohnlage und der bekannt berüchtigten Preise für Eigenheime in Stuttgart?
Der Bauherr nickt. Die Kosten für den sehenswerten Designwurf ohne Grundstück betrugen unter 300 000 Euro. Unglaublich! Das Wohnhaus in Massivholzbauweise bietet mit gut 130 Quadratmeter Fläche genügend Wohnraum für das Ehepaar Beck und die zwei Kinder. Dass man effizient bauen konnte, liegt an der Modulbauweise. „Mehr als 150 Bauelemente sind direkt ab Werk mit den Fugen für die Schreinerarbeiten sowie mit allen Bohrungen für die Elektroinstallation nach Maß vorgefertigt, angeliefert und an Ort und Stelle perfekt zusammengefügt worden“, sagt Kai Beck.
Nachwachsende Baustoffe
Im Erdgeschoss befindet sich die Küche, die fließend ins Wohnzimmer übergeht. Im oberen Stockwerk warten die Schlaf- und Kinderzimmer sowie die Bäder – und ein Spielflur. Innen wirkt alles hell, auch dank dem an den Decken und Wänden verbauten Fichtenholz. „Fichte ist schnell wachsend und dementsprechend günstig, die Trocknungszeiten sind kurz“, erklärt Sebastian Heinemeyer, der Kollege von Kai Beck. „Das Haus besteht zu 95 Prozent aus nachwachsenden Baustoffen.“
Holzveredelung nach japanischer Art
Nachhaltig ist der Einsatz der Materialien – und die Energiegewinnung erfolgt über eine Fotovoltaikanlage. Heinemeyer und Beck kennen sich noch vom Studium in Weimar, sie arbeiten zusammen im eigenen Architekturbüro in Stuttgart. Das Haus b haben sie gemeinsam projektiert und etwas probiert, was in Deutschland selten zu sehen ist, anders als in Japan, wo Kai Beck einige Semester verbracht und ein Verfahren zur Holzveredelung kennengelernt hat: Yakisugi. Dabei handelt es sich um eine jahrhundertealte Methode, bei der Holz behutsam verkohlt wird. Danach sieht es wertiger aus und ist zudem beständiger.
Robuste Oberflächen
Das mit zahlreichen Architekturpreisen, darunter dem German Design Award 2020, ausgezeichnete Wohnhaus setzt auf Gegensätze. Offen nach Süden hin, ohne sichtbare Öffnungen auf der Nordseite. Und schließlich die Farbkontraste durch Yakisugi, das übrigens ein Zimmermann im Schwarzwald verantwortet. Innen das helle, außen das angekohlte Holz, das alles andere als nur schwarz ist. Je nach Wetterlage changieren die Farbnuancen. „Wenn es geregnet hat, glänzt die Oberfläche des Holzes silbrig-violett“, sagt Kai Beck und streicht mit der Hand sanft über die angekohlte Fassade.