Andreas Walter leitet neu das Korntal-Münchinger Stadtarchiv. Der 35-Jährige aus Münchingen hat einen spannenden Berufswechsel hinter sich.

Blickt Andreas Walter aus dem Fenster, sieht er den Grünen Heiner. Einsam steht das Windrad auf dem Hügel. Nicht, dass der neue Stadtarchivar einsam wäre, doch in den Räumen im Münchinger Industriegebiet in der Kornwestheimer Straße ist er nun mal allein – wenn nicht gerade sein Vorgänger da ist oder Bürgerinnen und Bürger kommen, die was abgeben möchten oder recherchieren, Familienforschung zum Beispiel betreiben wollen. Interessierte sind dem 35-Jährigen äußerst willkommen, denn er will den Menschen das Archiv, seine Arbeit, die Stadtgeschichte näherbringen.

 

Elementar ist für Andreas Walter zurzeit aber Alexander Brunotte. Der Historiker, der rund 20 Jahre lang in Korntal-Münchingen das Stadtarchiv leitete, ist sein Lehrer. Ein geduldiger, wie Andreas Walter ihn beschreibt, der ihm alles beibringe, was er rund ums hiesige Stadtarchiv wissen muss. Der Neue brennt zwar für Geschichte, seitdem er denken kann, sitzt im Münchinger Heimatverein im Vorstand – doch er ist ein Quereinsteiger: Andreas Walter ist gelernter Steuerfachangestellter. Er hat zuvor in einer Kanzlei im Stuttgarter Norden gearbeitet. Berufsbedingt ist er, der auch die Archivschule in Marburg besuchen wird, vor sechs Jahren aus dem Bietigheim-Bissinger Stadtteil Metterzimmern nach Münchingen gezogen.

Mit dem berühmten Pfarrer Flattich in Berührung gekommen

In Metterzimmern stand in der Schule die Ortsgeschichte auf dem Stundenplan – die Andreas Walter sehr interessierte. Auch dass seine Großeltern mütterlicherseits viel über ihre eigene Geschichte erzählt hätten, sei Grund für seine Leidenschaft für Geschichte. Und er habe ein geografisches Interesse an Württemberg. Über Metterzimmern hat Andreas Walter ein Buch geschrieben. Anno 2011 fing er damit an, längst ist es auf dem Markt. 450 Exemplare hätten sich damals im Wohnzimmer seiner Eltern gestapelt, erinnert sich Andreas Walter.

In Metterzimmern, sagt er, sei er auch zum ersten Mal mit dem berühmten Pfarrer Johann Friedrich Flattich in Berührung gekommen. Der ist, wie er selbst, von hier nach dort gegangen. „Korntal-Münchingen ist meine Stadt“, betont Andreas Walter. Er habe die Archivar-Stelle in diesem Ort gewollt – allerdings gezögert, sich zu bewerben. Zunächst jedenfalls.

Lange hat die Stadt nach einem Nachfolger für Alexander Brunotte gesucht. Der ging in den Ruhestand. Drei Ausschreibungen erfolgten, die erste im November 2021. Keine geeigneten Kandidaten hätten sich beworben, die zu Vorstellungsgesprächen Eingeladenen nicht überzeugt. Mal hätten Deutsch-, mal Fachkenntnisse komplett gefehlt. Erst der dritte Anlauf klappte – als Andreas Walter seine Unterlagen schickte. Andere hätten sich nicht gescheut, sich zu bewerben, ärgerte sich der 35-Jährige damals. Die Leiterin des Heimatmuseums, Sabine Rathgeb, habe ihn gefragt, warum nicht er? So hat eins zum anderen geführt.

Die „wirklich alten Sachen“ sind noch woanders

Jetzt ist Andreas Walter also doch noch dort gelandet, wo er immer hinwollte. Er mistet zurzeit aus und digitalisiert Dokumente, sobald der Archivscanner da ist. „Vieles muss ich allerdings im Original erhalten“, sagt er. Im Prinzip alles, was die Geschichte der Stadt betreffe. Zudem muss Andreas Walter noch die Rollregalanlage im Münchinger Rathaus räumen, das nach wie vor saniert wird. 300 laufende Meter sind das, „unsere wirklich alten Sachen wie Rechnungen aus dem 16., 17. Jahrhundert“.

Das zweite Buch, das Andreas Walter schreiben will, muss derweil noch warten. Er interessiert sich brennend für Straßennamen. In einem lokalen Nachschlagewerk will er auflisten, wie in Korntal und Münchingen Straßen früher hießen und warum das so war. Die Schöckinger Straße in Münchingen etwa war einst die Eselsgasse, weil sie zur Mühle führte. Die Mirander Straße wurde vier Mal umbenannt. Sie sei eine der ältesten angelegten Straßen in Korntal und hieß ursprünglich Ditzinger Allee, weil sie vom Schloss weg – grob in Richtung Ditzingen führte. Die Charlottenstraße heiße erst seit dem Jahr 1930 so, dabei sei die Monarchie zu dem Zeitpunkt längst passé gewesen.

Bettelgass’ statt Markgröninger Straße

In Metterzimmern hat Andreas Walter damit begonnen, sich mit Straßennamen zu beschäftigen. Dort sei es üblich, dass die Leute noch die alten Straßennamen verwenden. Damit dieses Wissen erhalten bleibt und jedem klar ist, wovon die Rede ist, hat Andreas Walter sich dafür eingesetzt, dass unter einige Straßenschilder Infoschilder kommen. „Dieses mündliche Kulturgut gilt es zu bewahren“, findet Andreas Walter – dessen Nachbarn gern vom Wiesenwegle sprechen würden, wenn sie die Christophstraße meinen. Andere sprächen von der Bettelgass’ statt der Markgröninger Straße.

Und einen weiteren großen Wunsch hat Andreas Walter: Er will jungen Menschen die Stadtgeschichte vermitteln, das Archiv zeigen. Doch noch fehlt ihm die zündende Idee. Zunächst will er deshalb Kontakte knüpfen, mit Schulen, der Bücherei, der Volkshochschule. „Ich möchte mich zusammensetzen und schauen, was möglich ist.“