Steffen Bilger, Chef des CDU-Nachwuchses im Südwesten, spricht im Interview über die Schwächen im Erscheinungsbild der CDU.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - In der CDU rumort es. Viele Mitglieder sind mit dem Erscheinungsbild und dem aktuellen Kurs der Partei der Kanzlerin unzufrieden. Dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel ist deshalb der Kragen geplatzt. Er bekommt dafür Beifall von der Jungen Union. Deren Landesvorsitzender, Steffen Bilger, sagt: "Angela Merkel erreicht nicht immer die Seele der Partei."

 

Herr Bilger, Erwin Teufel befürchtet, Stammwähler der CDU könnten nicht mehr erkennen, was das Profil Ihrer Partei ist. Teilen Sie die Kritik?

Erwin Teufel spricht vieles an, was unsere Anhänger und die Mitglieder an der Basis denken. Und in der Tat, er hat nicht unrecht. Wenn man nur daran denkt, was wir unseren Mitglieder in letzter Zeit alles zumuten mussten - oder auch unnötigerweise zugemutet haben.

Wo sehen Sie die größten Schwächen im Erscheinungsbild der CDU?

Die größte Schwäche ist das Erscheinungsbild der Bundesregierung. Nach der Sommerpause muss es endlich gelingen, Ruhe und eine klare Linie in unsere Politik zu bekommen. Das ist aber mit der FDP nicht leicht zu machen.

In den letzten Tagen gab es kontroverse Debatten über das Thema Steuerreform. Waren die hilfreich?

Wir müssten endlich klarstellen, dass es um ein gerechteres und einfacheres Steuersystem geht, nicht vorrangig um die Lieblingsidee der FDP, die Steuern zu senken.

Mit den Stimmen der CDU wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, der Atomausstieg beschleunigt. Und jetzt soll auch noch die Hauptschule abgeschafft werden. Überfordern Sie Ihre Klientel damit nicht?

Es ist schwer, unseren Anhängern das alles zu vermitteln. Schon die Mitglieder strapaziert das alles sehr. Wir hatten in kurzer Zeit viele schwierige Probleme zu meistern. Manches war unvermeidlich: Die Reform der Wehrpflicht halte ich für richtig. Bei der Stabilisierung des Euro blieb uns letztlich gar nichts anderes übrig. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht zusätzlich Themen erfinden, die unser Publikum verunsichern...

...Sie meinen die unvermittelt verkündete Abschaffung der Hauptschule?

Das war aus meiner Sicht ein großer Fehler. Ich kann schon gar nicht verstehen, weshalb die CDU dieses Thema zum zentralen Thema ihres Bundesparteitags macht. Bildungspolitik ist schließlich nach dem traditionellen CDU-Verständnis Sache der Länder. Das Echo bekommen wir hier an der Basis zu hören: Unsere Mitglieder sind empört. Viele kämpfen seit Jahren um den Erhalt von Hauptschulen. Das von der CDU geprägte Bildungssystem in Baden-Württemberg ist erfolgreich. Aber die Bundes-CDU scheint das zu ignorieren. Das war für uns ein Schlag ins Gesicht.

Ist Merkel der Basis entschwebt?

Die von Ihnen beklagte Ignoranz ist verwunderlich, da Annette Schavan für die umstrittene Wende in der Bildungspolitik verantwortlich zeichnet. Und sie war doch schließlich früher Schulministerin in Baden-Württemberg. Hat die Ministerin den Kontakt zur Basis verloren?

Die Bundesspitze unserer Partei muss verstehen, dass solche Debatten nicht gegen die Basis geführt werden können. Uns kam das so vor, als bekämen wir dieses Papier einfach vorgesetzt, dürften zwar noch ein bisschen darüber diskutieren, sollten es am Ende aber abnicken. So läuft das nicht. Wenn es der Parteispitze wirklich um eine breite Diskussion geht, dann muss sie die Basis von Anfang an einbinden und darf die Stimmung dort nicht ignorieren.

Ist Angela Merkel der Basis entschwebt?

Ich will der Parteispitze durchaus zugestehen, dass es gerade beim Thema Bildungspolitik unterschiedliche Ansichten in der CDU gibt. Der Landesverband Baden-Württemberg repräsentiert ja nicht die Meinung aller Mitglieder bundesweit. Aber vielleicht gibt es bei uns mit unseren 70000 Mitgliedern ja auch eine breitere Diskussionskultur als in kleineren Landesverbänden, etwa in den neuen Bundesländern. Es sollte den Verantwortlichen in Berlin auf jeden Fall zu denken geben, dass sie die Stimmung in dieser Frage völlig falsch eingeschätzt haben. Sie müssten im Vorfeld solcher Debatten stärker in die Partei hineinhören.

Wie kann es gelingen, verprellte Stammwähler zurückzugewinnen?

Grundvoraussetzung wäre, dass die Bundesregierung nicht ständig für neue Irritationen sorgt. Wir brauchen eine klare Agenda für die verbleibende Zeit bis zur Wahl. Die CDU muss wieder sichtbar werden als Partei mit eigenen Interessen.

Der Konservative Jörg Schönbohm lastet Angela Merkel höchstpersönlich eine "Wende zur Verschwommenheit" an. Hat er recht?

So denken viele. Angela Merkel ist aber sicher in einer schwierigen Situation. Sie leistet gute Arbeit als Kanzlerin. Aber sie erreicht nicht immer die Seele der Partei.

Sollte sie den CDU-Vorsitz abgeben und sich ganz auf das Kanzleramt konzentrieren?

Es braucht nicht unbedingt einen anderen Vorsitzenden, um das Profil der CDU zu schärfen. Aber es wäre sinnvoll, der Partei mehr Raum zu geben, eigene Positionen deutlich zu machen. Die CDU muss als eigenständige Kraft erkennbar sein und nicht nur als verlängerter Arm der Bundesregierung.

Ist Merkel die richtige Kandidatin für 2013?

Sie ist die beste Kandidatin, die wir haben, und sicherlich eine gute Kanzlerin. Aber für sie geht es jetzt darum zu zeigen, dass es sich lohnt, sie wieder zu wählen.

Die Stimme des CDU-Nachwuchses

Jungunionist: Der 32-jährige Steffen Bilger führt seit 2006 die Jugendorganisation der baden-württembergischen CDU. Schon als Schüler war er politisch aktiv.

Parlamentarier: 2009 gewann der Jurist das Direktmandat im Wahlkreis Ludwigsburg. Im Bundestag gehört er dem Verkehrsausschuss an und ist Vizechef der Jungen Gruppe.

Ambitionen: Bilger will Vorsitzender des CDU-Bezirkes Nordwürttemberg werden. Das Amt hatte Minister Wolfgang Reinhart inne. Es gibt noch weitere Aspiranten.

Teufels Philippika findet Widerhall in der CDU

Zustimmung: Die Kritik des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel am Erscheinungsbild der CDU findet in der Partei Zustimmung. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, sagte der „Bild“-online: „Wir müssen den Menschen vor allem unsere Europapolitik besser erklären, denn ein Europa der Geheimdiplomatie schafft kein Vertrauen.“

Stammwähler: Auch der frühere Unions-Bundestagsfraktionschef, Friedrich Merz, pflichtete der Kritik Teufels am Erscheinungsbild der CDU zu. Er sagte dem Blatt: „Die CDU verliert ihre Stammwählerbasis und läuft dem Flugsand der Wechselwähler hinterher. Und statt sich mit den wirklichen Problemen zu befassen, werden Parteigremien mit Themen chloroformiert, für die die Bundespolitik – Beispiel Schule – gar nicht zuständig ist.“

Vertrauen: Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, kritisierte, viele Stammwähler hätten inzwischen kein Vertrauen mehr in die Parteiführung. „Wenn sich unsere Führung nicht mehr an Parteitagsbeschlüsse hält, vor allem in der Energie-, Steuer- und Europapolitik, dann darf sich kein Mensch darüber wundern, dass die Leute nicht mehr wissen, wofür die CDU noch steht.“