Ein Feuerwerk an entfesselter Spielwut, schwarzem Humor und fetziger Musik: In Esslingen ist eine geniale Verballhornung des Struwwelpeter über die WLB-Bühne gefegt.

Stuttgart - Am Ende sind sie alle tot. Paulinchen, die allein zuhaus, verbrennt. Der Suppenkasper verhungert, der Daumenlutscher verblutet, nachdem ihm der Scherenmann beide Daumen abgeschnitten hat und der Jäger wird vom Hasen erschossen. Am Ende haben die Zuschauer Lachtränen in den Augen und klatschen eine Zugabe heraus. Das wäre die Kurzfassung eines großartigen Musicalabends in der Württembergischen Landesbühne mit dem Titel „Struwwelpeter – Shockheaded Peter“. Der englische Untertitel verweist auf die Fassung, die 1998 in London entstanden und jetzt in Esslingen auf deutsch zu sehen ist: Eine Junk-Oper für Erwachsene von Phelim McDermott und Julian Crouch mit Musik von „The Tiger Lillies“.

 

Es darf ruhig viel Blut fließen

Was sich der Psychiater Heinrich Hoffmann wohl gedacht hat, als er die blutrünstigen Geschichten von den ungehorsamen Kindern erfunden und die Sammlung mit dem Titel „Struwwelpeter“ seinem dreijährigen Sohn zu Weihnachten geschenkt hat? Die Esslinger Inszenierung unter der Regie von Marcel Keller macht daraus jedenfalls eine irrwitzige und temporeiche Nummernrevue. Die einzelnen Todesfälle werden immer von einer Figur besungen, begleitet von einer dreiköpfigen Band, und dazu sieht man, wie die bösen Buben den Nachbarn mit dem Baseballschläger zusetzen oder die Mutter als lebensgroße Handpuppe stumm auf dem ganzen Tisch herum schaut. Da fallen die Teller in Zeitlupe vom Tisch, als der Zappelphilipp am Tischtuch zieht, der fliegende Robert hängt als Püppchen an der Angel und verliert sich via Videoprojektion in den Wolken. Keller ist auch für das Bühnenbild verantwortlich, einem nostalgischen Tableau in schwarz-weiß, in dem die einzelnen roten Farbtupfer umso mehr auffallen. Struwwelpeters Eltern leben in einem Bilderbuch in der Guckkasten-Bühne. Dort können die Wände tatsächlich auch umgeklappt werden können – wie in einem Bilderbuch der guten oder eben nicht so guten alten Zeit.

Nina Mohr brilliert mit einer wunderbaren Soulstimme, Gesine Hannemann überzeugt als blutrünstige Köchin. Christian A. Koch tanzt unter anderem hervorragend Ska, Benjamin Janssen guckt in die Luft und Ralph Hönicke ist ein schauerlicher Riese und vor allem der mal arrogante, mal weinerliche Spielleiter, der die einzelnen Auftritte zusammenbindet. „Es steckt eine Botschaft hinter dem Ganzen“, ruft er einmal wütend in die Menge. Aber sicher doch: Dass Schauspielerei ein Hochleistungssport ist zum Beispiel. Und dass bei einem herrlich witzigen Theaterabend ruhig viel Blut fließen darf – und wenn es nur Unmengen roter Konfetti sind.

Vorstellungen am 14. und 21.12., dann wieder am 23.1.