Die Deutsche Bahn steht wegen der ICE-Strecke in der Kritik, die Koalition streitet – und der Steuerzahlerbund warnt den Regierungschef.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Bei der routinemäßigen Sitzung des Verkehrsausschusses im Bundestag am Mittwoch poppte plötzlich ein Thema auf, das in dieser Form gar nicht auf der Tagesordnung stand: die geplante Schnellbahnstrecke zwischen Wendlingen und Ulm, mit deren Bau bereits begonnen worden ist. Wie berichtet, hat die Bahn AG laut der Stuttgarter Zeitung vorliegenden Protokollen in den Jahren 2002/2003 absehbare Kostensteigerungen bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm dem Bund und dem Bundestag verschwiegen, um die weitere Aufnahme des Projekts in den Bundesverkehrswegeplan nicht zu gefährden. Der Vorgang bedürfe der Aufklärung, sagt nun die Stuttgarter SPD-Bundestagsabgeordnete Ute Kumpf. Auf deren Anregung hin wird sich die Bahn wohl im September vor dem Verkehrsausschuss erklären müssen: Der Konzern dürfe den Vorwurf, unglaubwürdig zu sein, nicht auf sich sitzen lassen, so Kumpf.

 

Eine bahninterne Analyse vom 15.Oktober 2002 hatte ergeben, dass sich die bis dahin offiziell kalkulierten Kosten von 1,35 Milliarden Euro praktisch verdoppeln würden. Bei einer internen Besprechung zwischen Managern des Verkehrskonzerns und Vertretern der damaligen Landesregierung wurde allerdings die Losung ausgegeben, diesen Preissprung vorerst nicht zu kommunizieren, um "keine unzeitgemäße Diskussion auszulösen", wie Eckart Fricke bei dem Treffen betonte. Fricke war damals in leitender Funktion bei der Bahn-Tochter DBNetzAG tätig und ist heute Statthalter des Konzerns im Land. Er selbst bestätigte zwar, wie berichtet, diese Aussage, wollte diese aber nicht als Täuschung verstanden wissen.

Auch Wolfgang Dietrich, der Sprecher des Projektes Stuttgart-Ulm, betonte am Mittwoch gegenüber der StZ, dass es "keine Motivation gegeben habe, sich durch Täuschung eine demokratische Legitimation zu erschleichen". Tatsächlich sei eine Neubaustrecke aus dem Stuttgarter Raum Richtung Süden seit 1985 Bestandteil des Bundesverkehrswegeplans, damals noch angedacht in einer Achse Plochingen-Günzburg. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Trasse sei über all die Jahre hinweg gegeben gewesen. Erst Ende vergangenen Jahres habe sich dies erneut bestätigt - obwohl die Kosten inzwischen mit 2,89 Milliarden Euro beziffert würden.

Kritik an Kretschmanns Plänen

Eine ganz andere Sicht haben die Grünen. "Dass nachweislich eine CDU-geführte Landesregierung an dieser Aktion Trübung statt Transparenz' mitgewirkt hat, macht uns fassungslos. Möglicherweise wurde dabei unter Mitwirkung eines Landesministeriums nicht nur die Öffentlichkeit, sondern ein Verfassungsorgan getäuscht und zu falschen Beschlüssen bewogen. Dies gehört untersucht", so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Andreas Schwarz.

Unterdessen geht auch der Streit über Stuttgart 21 selbst, also über die geplante Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart, weiter. Scharfe Kritik übte der Bund der Steuerzahler an neuen Überlegungen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), das Land könne möglicherweise doch die Kosten für einen Bau- und Vergabestopp übernehmen. Die Bahn hatte dafür unlängst eine Rechnung in Höhe von bis zu 410 Millionen Euro aufgemacht.

Seite 2: Bund der Steuerzahler übt Kritik

Der Bund der Steuerzahler kündigte an, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Kretschmanns Pläne vorzugehen. Für Wilfried Krahwinkel, den Chef des Verbandes, droht reine Verschwendung. In einem Interview mit dem Radiosender Antenne 1 sagte er am Mittwoch: "Da würde Steuergeld ohne Not in etwas gesteckt werden, für das es keine Gegenleistung gibt, sondern nur einen verlängerten Baustopp." Viel sinnvoller wäre es aus seiner Sicht, mit solchem Geld die Schulden des Landes weiter auszugleichen. Bereits zuvor hatte die SPD ihrem Koalitionspartner Kretschmann heftig widersprochen.

Bahn pocht auf vereinbarten Zeitplan

Derweil hat die Bahn Spekulationen Kretschmanns zurückgewiesen, die Analyse des Stresstests könne zeitlich weiter gestreckt werden. Die dem Bahn-Vorstand Volker Kefer vom Ministerpräsidenten unterstellten Äußerungen seien nie gefallen, so der Projektsprecher Dietrich zur StZ. "Wenn ich Herrn Kefer richtig verstanden habe, ist da Luft drin", hatte Kretschmann gesagt. Kefer habe ihm, Dietrich, bestätigt, gar nicht mit dem Premier gesprochen zu haben. Aus Sicht der Bahn müsse es vielmehr zwingend beim vereinbarten Fahrplan bleiben. Bekanntlich ist momentan die Schweizer Firma SMA mit der Prüfung des Stresstests befasst. Am 11. Juli lägen die Ergebnisse vor. Die breite Öffentlichkeit habe einen Anspruch auf zeitnahe Information aus erster Hand. Auch aus einem weiteren Grund müsse die geplante Anhörung im Rathaus am 14.Juli erfolgen: Denn spätestens am 15.Juli müsse der Konzern aus rechtlichen Gründen den Vergabeprozess für weitere Bauarbeiten einleiten. Konkret geht es dabei um den Fildertunnel und einen Tunnel von der Innenstadt nach Stuttgart-Wangen mit einem Bauvolumen von wohl rund 750 Millionen Euro.

Heute soll bei einer Arbeitssitzung mit dem Schlichter Heiner Geißler der Fahrplan des Stresstests zwischen Landesregierung, Bahn und Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 noch einmal beraten werden. Und dies wiederum vor dem Hintergrund, dass Geißler selbst in die Kritik geraten ist, weil er bei einer Veranstaltung in Tübingen betont hatte, der neue Bahnhof werde "sowieso gebaut". Damit stelle sich die Frage, so das Aktionsbündnis, ob Geißler als Mittler überhaupt noch infrage komme. Darauf relativierte das Attac-Mitglied Geißler am Mittwoch seine Aussagen zur Realisierung des Milliardenprojekts und ließ wissen, dass dies eine "persönliche Einschätzung aufgrund des jetzigen Diskussionsstandes" sei. Das könne sich aber jederzeit ändern.