Im Jahr 2017 sollen fast zwei Millionen Tonnen Material aus dem Talkessel geschafft werden. Allerdings hinkt die Bahn den Vorgaben ihres ursprünglichen Logistik-Konzepts hinterher.
Stuttgart - Die Bahn muss wegen der Verzögerungen bei Stuttgart 21 ihre Prognosen korrigieren, was den Abtransport der beim Bau des Tiefbahnhofs und der angrenzenden Tunnelstrecken anfallenden Erdmassen angeht. Nach neues-ten Zahlen sollen allein in diesem Jahr zwei der insgesamt acht Millionen Tonnen Aushubmaterial aus dem Innenstadtbereich abtransportiert werden. Zum Vergleich: Der Stuttgarter Fernsehturm bringt es auf eine Gesamtmasse von 3000 Tonnen.
Wie es auf den Baustellen im Kessel weitergeht, erklärt die Bahn am Dienstag erst den Stadträten des Umwelt- und Technikausschusses im Rathaus und am Abend bei einer Informationsveranstaltung für Anwohner des Kernerviertels.
Schleppender Baufortschritt, weniger Material
Zwei Jahre hinkt die Bahn im zentralen Bauabschnitt rund um den Bahnhof den ursprünglichen Zeitplänen hinterher. Zwar zeigen sich die S-21-Bauer mittlerweile zuversichtlich, davon wieder zwölf Monate wettzumachen. Das bisherige Bummeltempo auf den Baustellen hat aber Konsequenzen für die Logistik. Wenn es in den Baugruben langsamer als prognostiziert in die Tiefe geht und sich der Tunnelvortrieb mühseliger gestaltet, fällt eben auch weniger Material an, das abtransportiert werden kann.
Als die Baggerarbeiten im August 2014 im Schlossgarten begannen, veröffentlichte die Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) Annahmen, wie sich die Abraummassen auf die Bauzeit verteilen würden. Demnach hätten Ende 2016 mehr als 60 Prozent der acht Millionen Tonnen Gesamtmenge abtransportiert sein sollen. Für das Jahr nach Beginn der Tiefbauarbeiten war der Höhepunkt der Transportaktivitäten geplant – 2015 hätten allein 34 Prozent abgefahren werden sollen. Das ist alles Makulatur. Nach nun auf Anfrage veröffentlichten Zahlen der PSU waren Ende 2016 nur 49 Prozent der Massen transportiert, der Spitzenwert soll im laufenden Jahr mit 24 Prozent bewegt werden. 2018 sollen es dann nochmals 19 Prozent sein.
Ende 2018 wird Logistikfläche am Nordbahnhof dicht gemacht
Das Ende des kommenden Jahres bedeutet für die gesamte Logistikkette einen Einschnitt. Zum 31. Dezember 2018 soll der große Umschlagplatz am Inneren Nordbahnhof, wo Erde und Steine von Lastwagen auf die Schiene umgeladen werden, den Betrieb einstellen. Von dort aus können bis zu 10 000 Tonnen täglich auf die Reise in Richtung zu verfüllender Steinbrüche und Tagebaulöcher geschickt werden. Stand heute prognostiziert die PSU einen Rest von acht Prozent Aushubmaterial, der nach 2018 statt auf der Schiene auf der Straße transportiert werden muss. Dieser Wert ist um einen Prozentpunkt geringer als in der Entsorgungsprognose von 2014.
Nicht nur die Baulogistikfläche am Nordbahnhof wird vor Fertigstellung des neuen Bahnknotens aufgegeben, auch die dorthin führende Baustraße wird gekappt. Auf ihr gelangen Lastwagen von den Baustellen in der City zum Nordbahnhof. Dabei nutzen sie auch eine ehemalige Bahnbrücke über die Wolframstraße. Die muss abgerissen werden, um die S-Bahnstrecke zur neuen Haltestelle Mittnachtstraße zu bauen. Die Arbeiten daran sollen kommendes Jahr beginnen, der Brückenabriss aber so spät wie möglich angegangen werden. So plane die PSU „beim Bau des S-Bahn-Tunnels zwischen Hauptbahnhof und Mittnachtstraße den Lückenschluss im Bereich der Wolframstraße möglichst als letzten Bauabschnitt herzustellen“, wie ein Projektsprecher mitteilt. Noch allerdings sind die in diesem Abschnitt geänderten Pläne nicht genehmigt.
Anwohner beschweren sich, Stadträte fordern Aufklärung
Anwohner des Nordbahnhofviertels, das eingeklemmt zwischen Baustelle und Logistikfläche liegt, beklagen immer wieder, dass Lastwagen durch Wohnstraßen kurven, statt die Baustraßen zu nutzen. Beschwerden bei der Bahn, der Stadt und auch der Staatsanwaltschaft haben nicht den aus Sicht der Anwohner gewünschten Erfolg gezeitigt. Was die Beachtung des Feiertagsgesetzes auf den Baustellen angeht, verlangt die Gemeinderatsfraktion von SÖS-Linke nun Aufklärung vom aus ihrer Sicht zuständigen Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. So wollen die Stadträte wissen, wie viel Bußgeld die Stadt bislang in dieser Sache eingesammelt hat, „sowie eine Abschätzung der entgangenen Bußgeldeinnahmen durch Nichtverfolgung der Verstöße.“
Der angepeilte Abriss der Baustraßenbrücke stellt aus Sicht der PSU keinen Widerspruch zu einer in der Baugenehmigung für Stuttgart 21 festgehaltenen Vorgabe dar, in der es heißt „der Rückbau der übergeordneten Baustraßen erfolgt nach Fertigstellung der Bauwerke des Bahnprojekts.“ Die Bahn leitet daraus die Verpflichtung ab, die Baustraßen wieder zurückzubauen – aber eben nicht, damit bis zum Abschluss der Arbeiten am Bahnknoten zu warten. „Die Baustraßen über den konkreten Bedarf der Massenentsorgung hinaus vorzuhalten ist weder erforderlich noch sinnvoll. Teilweise müssen Baustraßenabschnitte während der Bauzeit auch mehrfach verändert oder ganz zurückgebaut werden, da sie späteren Bauabschnitten im Weg sind“, teilt der Projektsprecher mit.