Ein zwei bis drei Tonnen schwerer Ahornbaum auf Reisen zieht die Blicke der Passanten auf sich. Dutzende Bäume sollen neue Standorte bekommen.
Stuttgart - Noch einmal dreht der Polizeibeamte von der Motorradstaffel zu Fuß eine Runde. Dann gibt er das Okay. Der Baum ist gut genug verschnürt, nicht zu hoch, nicht zu breit, die Reise kann beginnen. Vier Meter hoch darf das Baumbündel sein, „so hoch wie jeder normale Lastwagen“, erklärt der Polizist. In diesem Format ist der Baum bereit für die Reise. Der etwa 30 bis 40 Jahre alte Ahorn soll nach Sommerrain. An der Steinhaldenstraße ist der für ihn ausgewiesene Standort.
Der Ahorn ist einer von 68 Bäumen, die vor dem Fällen auf dem Baufeld für den umstrittenen Tiefbahnhof bewahrt wurden – 54 sollen im Stadtgebiet, 14 innerhalb des Schlossgartens nach dem Umpflanzen Wurzeln schlagen. Verschnürt und festgezurrt steht der Baum bereit.
Rangieren, Zurechtstutzen und Verschnüren
Doch bevor es losgeht, klettert ein Mitarbeiter der Arge „Tree-Replant“, der drei auf Baumverpflanzungen spezialisierte Unternehmen angehören, in den Wipfel des knapp zehn Meter hohen Baumes. Dabei bleibt er trotzdem immer etwa 2,50 Meter über dem Boden. Der Ahorn hatte zuvor auf einem Hügel oberhalb des Landespavillons gestanden. Nun ragt er quer über das Heck des Allradfahrzeugs hinaus. Fast 30 Tonnen bringen Fahrzeug und Baum gemeinsam auf die Straße, zwei bis drei Tonnen davon macht der Baum mit seinem Wurzelballen aus.
Vom Ausgraben bis zur Abfahrt vergehen knapp zwei Stunden. Die wenigste Zeit davon nimmt das eigentliche Ausstechen des Baumes in Anspruch. Anfahrt, rangieren und die Rundspaten in Position zu bringen sowie das Zurechtstutzen und Verschnüren dauert länger. Der Ahorn steht ursprünglich an einem leicht zur Treppe in den Schlossgarten abfallenden Stück Wiese. Diese ist durch das Wühlen der Maschinen wie die gesamte Fläche des gerodeten Mittleren Schlossgarten inzwischen zu einer Matschpiste geworden.
Polizisten und Passanten werden zu Zuschauern
Auf Matten mit Antirutschprofil tastet sich das Spezialfahrzeug der Firma Opitz aus Heideck heran, eine Eigenkonstruktion des Betriebs. Dann fährt der Arm mit den vier Spaten aus, die den Ballen rund um den Stamm abstechen. Etwa 2,50 Meter Durchmesser hat das ausgestochene Erdstück. Genau in der Mitte soll der Stamm stecken. Langsam gleiten die Spaten in den Boden. „Wichtig ist, dass die Schaufeln nur außen eine Führung haben. Innen sind sie ganz glatt, damit die Wurzeln sauber abgetrennt werden“, erläutert ein Gartenbauexperte von der Verpflanzungsfirma Opitz.
Polizisten und Passanten werden zu Zuschauern
Unten angekommen heben die vier Spaten den Baum langsam samt Erdreich in die Höhe. Für die Mitarbeiter der Verpflanzungsfirma ist das ein ganz normaler Vorgang. Etwa zwei Millionen Bäume hat Opitz in seiner 40-jährigen Geschichte schon verpflanzt. Die Überlebenschance schätzt die Firma auf 97 Prozent.
Für die Stuttgarter ist der Anblick ein ganz besonderer. Je näher die Maschine dem Baum rückt, desto mehr Zuschauer bleiben am Rand der Willy-Brandt-Straße stehen, zücken Kameras und Mobiltelefone, um den Moment des Ausgrabens festzuhalten. Auch die Polizisten, die die Baustelle sichern, werden für ein paar Minuten zu Publikum.
Beim Ausgraben komme es vor allem darauf an, die Feinwurzeln in Stammnähe zu erwischen, erläutert der Opitz-Mitarbeiter. „Die großen, dicken, das sind die Standwurzeln. Sie geben dem Baum Stabilität.“ Parkbäume seien meist aus Baumschulen. Eng am Stamm liegendes Feinwurzelwerk sei ihnen quasi anerzogen. „Bevor der Baum verkauft wird, ist er schon fünf- oder sechs- mal verpflanzt worden“, erläutert der Fachmann. Bei frei im Wald gewachsenen Bäumen sei das anders. Sie strecken oft ihre Standwurzeln weit aus und bilden viele Meter entfernt Feinwurzeln für die Nährstoff- und Wasseraufnahme.
Bodentausch muss aufgehen
Neben jedem Baum, der ausgegraben wird, liegt ein Erdhaufen. Das ist der Aushub aus dem Boden am Zielort. Dort wird das Loch mit der mitgebrachten Erde wieder aufgefüllt. Neben den Baum kommt der Haufen aus dem ersten Loch – sonst geht der Bodentausch nicht auf. In Sommerrain muss die neue Heimat des Ahornbaums noch aufbereitet werden, da das Gelände mit einer Kiesschicht abgedeckt ist. „Aber darunter kommt Stuttgarter Boden, das klappt schon“, sagt der Fachmann, bevor er mit der wippenden, tonnenschweren Last durch die Straßen fährt – spätestens an der ersten Bushaltestelle ist ihm so das staunende Publikum gewiss.