Seine Informationspolitik bringt Verkehrsminister Winfried Hermann in Erklärungsnot. Er soll genaue Informationen über den Stresstest haben.

Stuttgart - Samstagabend, 25.Juni, 19.46 Uhr, beste Sendezeit im SWR-Fernsehen. In den Nachrichten meldet sich Winfried Hermann zu Wort, baden-württembergischer Verkehrsminister und erklärter Gegner des Projekts Stuttgart 21. Auslöser ist ein Bericht der "Frankfurter Rundschau". Dort wird der Minister mit den Worten zitiert: "Nach den bisher durchgesickerten Informationen wird der Stresstest wohl nicht scheitern. Es wird so aussehen, dass die Bahn den Test irgendwie schafft."

 

Diese Sätze haben politische Sprengkraft. Schließlich ist der Stresstest ein zentrales Thema für die Grünen. Er soll klären, ob der geplante Tiefbahnhof in Spitzenzeiten 30 Prozent mehr leisten kann als der reale oberirdische Kopfbahnhof. Der Test war in wochenlangen Schlichtungsgesprächen zwischen der früheren schwarz-gelben Landesregierung, die Stuttgart 21 befürwortete, und Projektgegnern Ende vergangenen Jahres vereinbart worden.

Der Verkehrsminister sei informiert, sagt die Bahn

Nimmt der geplante Tiefbahnhof diese Hürde, wäre er nur noch durch einen Volksentscheid zu stoppen, und da stehen die Chancen nach Ansicht von Experten eher schlecht. Vor der Fernsehkamera rudert Hermann deshalb am Samstag entsprechend heftig zurück: "Der Landesregierung liegen keinerlei Materialien vor zum Stresstest. Insofern kann ich das auch nicht kommentiert haben."

Beide Sätze des Ministers hallen jetzt im politischen Raum nach. Die Bahn dementiert, dass der Landesregierung "keinerlei Materialien zum Stresstest vorliegen". Der Verkehrsminister sei "längst informiert", sagt Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Bereits seit Monaten gibt es einen Lenkungsausschuss "Stresstest", in dem Gerd Hickmann sitzt, ein enger Mitarbeiter Hermanns. Hickmann war schon bei der Geißler-Schlichtung für das Aktionsbündnis mit den Fahrplänen beschäftigt und fungiert mittlerweile im Verkehrsministerium des Landes als Leiter der Task Force zu Stuttgart 21. In drei Sitzungen im Mai und Juni unterbreitete die Bahn im Lenkungskreis "Stresstest" ihre Ergebnisse.

Zudem war Hermann selbst am 30. Mai bei einer Sitzung des übergeordneten Lenkungskreises Stuttgart 21 zugegen, wo der Technikvorstand der Bahn, Volker Kefer, die konzerninternen Testläufe nach 80 Prozent vollzogener Simulation präsentiert hat. Darüber hinaus gibt es auch Schriftverkehr. Am 3. Juni schrieb Kefer an Hermann, nachdem der Minister eine Reihe zusätzlicher Grunddaten eingespeist hatte, die der Fahrplanprüfung zugrunde gelegt werden sollten. Am 8. Juni antwortete Hermann der Bahn: "Mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Vorgehen ist das Land grundsätzlich einverstanden." Auf der Basis wurde am 16. Juni im Lenkungsausschuss "Stresstest" von der Bahn ein Ergebnis nach 95 Prozent der Simulation präsentiert. Dabei wurde klar, dass der Stresstest wohl ohne neue Infrastrukturbauten bestanden wird. Die Ergebnisse des Schienenkonzerns werden jetzt wie vereinbart von der Schweizer Beratungs- und Verkehrsplanungsunternehmen SMA geprüft.

"Der Minister war bestens informiert"

Dies alles war dem Minister bekannt, als er am Samstag vor der Kamera erklärte, dass der Landesregierung "keinerlei Materialien zum Stresstest" vorlägen. Nicht minder fragwürdig ist sein zweiter Satz: "Insofern kann ich das auch nicht kommentiert haben." Der Autor des Artikels in der "Frankfurter Rundschau", Peter Kirnich, nennt Hermanns Dementi "eine Frechheit". Kirnich arbeitet als Wirtschaftsredakteur für die "Berliner Zeitung" und hat laut eigenen Angaben an Fronleichnam, 23. Juni, am frühen Nachmittag mit Hermann telefoniert. Dabei seien die beiden Sätze des Ministers so gefallen, bestätigt der Journalist: "Ich habe das auf Band."

Da "Frankfurter Rundschau" und "Berliner Zeitung" eng verbandelt sind, was auf dem politischen Parkett jeder weiß, schrieb Kirnich sein Stück über Hermanns Bekenntnisse zum Stresstest für beide Blätter. Der Minister sei im besagten Telefonat über die Ergebnisse der Bahn bestens informiert gewesen, sagt der Redakteur - und wundert sich, dass Hermann später den Eindruck erweckte, die Bahn habe die Nachricht zum Stresstest als erste publik gemacht.

Die CDU plädiert für Hermanns Rücktritt

Besonders geärgert hat sich Kirnich, als er am Samstag um 16 Uhr eine Meldung der Nachrichtenagentur Reuters las. Dort hieß es: "Das baden-württembergische Verkehrsministerium hat einen Zeitungsbericht zurückgewiesen, wonach das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 den Stresstest bestehen dürfte. Die in dem Bericht verbreiteten Aussagen über den Ausgang des Stresstests seien reine Spekulation." Im Weiteren griff das Ministerium die "Frankfurter Rundschau" an. "Ein Interview von fr-online mit dem Minister hat nie stattgefunden." Dies empfindet Kirnich als perfide, weil Minister Hermann, vormals Bundestagsabgeordneter in Berlin, von der Kooperation beider Blätter wisse und man sich lange kenne.

Der Minister selbst sagt gegenüber der StZ, er habe mit dem Redakteur nur im Hintergrund gesprochen und die Zitate nicht autorisiert. Was die Unterlagen zum Stresstest betrifft, habe er zwar inzwischen einige "Charts der DB" gesehen, jedoch keine nachprüfbaren Originalunterlagen.

Für Peter Hauk, den Fraktionschef der CDU im Landtag, ist Hermanns Verhalten ungeheuerlich. "Sollte der Minister die Öffentlichkeit in dieser zentralen politischen Frage wissentlich angelogen haben, werden wir ihm anstandshalber die Zeit geben, die erforderlichen Konsequenzen aus seinem Verhalten zu ziehen und selbst zurück zu treten. Tut er dies nicht, werden wir seine Entlassung beantragen."