Bei den Grünen hat sich Unmut über den Ministerpräsidenten entladen. Viele nehmen ihm übel, dass er nicht mehr daran glaubt, Stuttgart 21 kippen zu können. Ein Krisentreffen mit den Kritikern am Dienstag nutzte Winfried Kretschmann, um seine Haltung zu begründen.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich am Dienstag mit führenden Repräsentanten seiner Partei aus dem Land, der Region und der Stadt Stuttgart getroffen – zu einem „Informationsaustausch“, wie es hieß. Tatsächlich aber steckte mehr dahinter.

 

Bei den Grünen hat sich – wie von der Stuttgarter Zeitung berichtet – viel Ärger über den Regierungschef und dessen Umgang mit dem Projekt Stuttgart 21 aufgestaut. Mit Namen will kaum ein prominenter Kritiker zitieren lassen, doch die Wortwahl und die Emotionalität der Angriffe via Presse, an der Parteibasis und in Internetforen schreckten das Staatsministerium auf.

Spielball der Bahn und der SPD?

Verdruss hatten die beiden jüngsten Interviews des Ministerpräsidenten zum umstrittenen Tiefbahnhof ausgelöst. Der Stuttgarter Zeitung hatte Kretschmann gesagt: „Stuttgart 21 mache ich nicht zum Wahlkampfthema.“ Damit widersprach er der Grünen-Fraktionschefin im Bundestag, Renate Künast, die zuvor angekündigt hatte, den Bahnhofsstreit in den Bundestagswahlkampf zu tragen. Im „Spiegel“ sagte Kretschmann im Streitgespräch mit Bahn-Chef Rüdiger Grube zum Bau des Tiefbahnhofs: „Es gibt kein Zurück mehr.“ Dazu kam dann noch der Besuch des Regierungschefs beim südbadischen Tunnelbohrer Martin Herrenknecht – jenem Mann, der vor der Landtagswahl noch gesagt hatte, wer Grün wähle, den werfe er aus seinem Betrieb hinaus. Schließlich erklärte Regierungschef Kretschmann im Landtag auch noch, der Filderbahnhof plus gehöre nicht unter den Kostendeckel für Stuttgart 21, in diesem Punkt sei er verhandlungsbereit.

Seither haftet Kretschmann in Teilen seiner Partei der Vorwurf des Umfallens an. Der Regierungschef sei nicht viel mehr als der „Spielball“ von Bahn-Chef Grube sowie des SPD-Fraktionschefs Claus Schmiedel. Von einem „Sonderparteitag“ ging gar die Rede. In Berlin wiederum wurde Kretschmann vorgeworfen, er verrate die Parteilinie, um sein Image als parteiübergreifend angesehener Landesvater nicht zu verlieren.

Im Staatsministerium schrillen die Alarmglocken

Die anonymen Anwürfe aus Berlin sind für Kretschmann nur schwer zu kontern. Umso mehr war ihm jetzt an dem Kontakt zu den innerparteilichen Kritikern in Stadt, Region und Landtagsfraktion gelegen. Immerhin hatte sogar Fraktionschefin Edith Sitzmann jeden Euro zusätzlich für den Filderbahnhof kategorisch abgelehnt. Solche Diskrepanzen zwischen Kretschmann und der Regierungsfraktion nagen an der Autorität des Regierungschefs. Im Staatsministerium hieß es zuletzt: „Wir müssen das atmosphärisch ausräumen.“

Der Handlungsspielraum des Ministerpräsidenten ist jedoch begrenzt. Nach der Entscheidung des Bahn-Aufsichtsrats bleibt ihm kein Hebel, um Stuttgart 21 zu verhindern. Zudem fühlt er sich an die Volksabstimmung gebunden – diese aufrechte Haltung in der Niederlage hat nicht unwesentlich zu dem Respekt beigetragen, den er inzwischen im Land genießt. Als Ministerpräsident ist er ohnehin den Interessen des Landes verpflichtet, nicht den Strategen der grünen Bundespartei.

Mit Stuttgart 21 in den Wahlkampf?

Die Kretschmann-Unterstützer innerhalb der Grünen halten die Idee, mit Stuttgart 21 in den Bundestagswahlkampf zu gehen, für wenig aussichtsreich bis völlig daneben. Außerhalb der Region Stuttgart zünde das Thema nicht. Außerdem fehle den Grünen auch im Fall eines Wahlsiegs die Mehrheit, um Stuttgart 21 zu beenden. Auf Bundesebene lägen die Grünen hinter der SPD – wie sollten sie ihren Willen durchsetzen? „Dann holen wir uns nur eine neue Niederlage ab“, analysiert einer aus der Gilde der Realpolitiker.

Einzelheiten des Treffens wurden zunächst nicht bekannt. „Es war ein informelles Gespräch in guter Atmosphäre“, hieß es am Abend aus dem Staatsministerium.