Oceanergy will grünen Wasserstoff besonders preiswert erzeugen – weil man rund um die Uhr Wind ernten könnte. Ein Reutlinger Astronaut ist von der Idee begeistert.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Die Suche nach günstigen Winden hat die Schifffahrt über Jahrhunderte begleitet – bis Dampfboote und später mit Öl angetriebene Riesenkähne aufkamen. Doch jetzt könnte Wind wieder wichtiger werden: Das Stuttgarter Start-up Oceanergy will mit großen Kites, die Segeln ähneln, auf Schiffen Wind einfangen. Die möglichst steifen Brisen sollen helfen, Strom und grünen Wasserstoff zu produzieren. „Wir sind weltweit die einzigen, die sich auf die hohe See trauen“, meint der Reutlinger Astronaut Ernst Messerschmid, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats von Oceanergy. „Mich interessiert die Möglichkeit, mit Kites auf den Weltmeeren als deutsche Firma mit Sitz in Stuttgart ein Geschäft zu machen“, sagt er zu seinem Engagement bei dem Start-up.

 

„Mit den Schiffen sind wir mobil“, meint Firmengründer Wolfram Reiners, „wir fahren dort hin, wo der Wind am stärksten und rund um die Uhr weht. Wir warten nicht, bis der Wind zu uns kommt.“ Reiners ist Geschäftsführer des Start-ups, surft und segelt gerne – und vor rund zehn Jahren kam ihm die Idee, Wind könne nicht nur für sein Hobby, sondern auch wirtschaftlich von Nutzen sein. 2018 gründete er Oceanergy .

Wind macht Strom, Strom macht Wasserstoff

In einem früheren Industriegebäude in Stuttgart-Hedelfingen zeigt Mitgeschäftsführer Uli Dobler ein Video. Im Film dreht sich ein Globus, auf dem Windstärken in verschiedenen Regionen der Welt gezeigt werden. Südatlantik und der südliche Pazifik stechen dabei besonders hervor. Ein Schiff, das zeigen soll, dass ihre Idee funktioniert, soll noch im September in Südafrika in See stechen. Mit großen Segeln auf Schiffen, wollen Reiners und Dobler Wind einfangen. Diese Kites sind über Seile mit einem Generator verbunden. Bläst der Wind in die Segel, straffen sich die Seile und treiben einen Generator an. Dieser erzeugt Strom – und mit dessen Hilfe soll dann noch auf dem Schiff grüner Wasserstoff produziert werden. Ihre Idee, so glauben sie, sei so mancher bisher üblichen Herstellung von Strom für grünen Wasserstoff überlegen. „Wir haben einen gleichbleibenden Wind, anders als etwa Offshore-Windanlagen. Das bringt uns eine hohe Wirtschaftlichkeit, weil wir sieben Tage in der Woche 24 Stunden lang Wind ernten können“, sagt Dobler.

Außerdem könne man die Kites in Höhen ausfahren, die kein Windrad erreiche – je höher man gehe, desto kräftiger wehe der Wind. Auch gegenüber Photovoltaikanlagen, die davon abhängig sind, ob und wie stark die Sonne scheint, stehe man besser da. All dies bringe denn auch eine höhere Wirtschaftlichkeit. Dobler rechnet damit, grünen Wasserstoff zu einem Preis von zwei Euro je Kilogramm am Terminal eines Hafens abliefern zu können, später sei möglicherweise sogar eine Absenkung auf einen Euro denkbar.

Suche nach weiteren Investoren

Bevor das erste Demonstrationsschiff im September auslaufen kann, braucht das Start-up erst noch Geld. Drei Millionen Euro erhielt Oceanergy mit seinen inzwischen 26 Beschäftigten bereits vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium, eben soviel steuerte das Wissenschaftsministerium bei. Jetzt sind nach den Angaben Doblers 500 000 Euro für den Kauf eines gebrauchten Schiffes und dessen Umbau sowie die Installation von Kites, Generator und anderen Gerätschaften nötig. Weitere Investoren sollen dann für die Finanzierung eines 35 Meter langen Prototyps gewonnen werden.

Richtig losgehen soll es dann Ende der 20er Jahre mit Schiffen, die zwischen 130 und 160 Meter lang sind, 130 Millionen Euro kosten und zehn Mann Besatzung haben. Ein großer Finanzinvestor habe schon Interesse bekundet, sagt Dobler. Die Schiffe könnten von Werften an Reedereien ausgeliefert werden. An diese könne Oceanergy dann seine Anlagen zur Stromerzeugung verkaufen. Die Reedereien könnten dann den erzeugten grünen Wasserstoff verkaufen.

Versorgung für Schiffe und Airbusse

Ein solches Schiff könnte in einem Jahr 6000 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen – ausreichend etwa, um zwei Frachtschiffe ein Jahr lang anzutreiben. Natürlich könnten die Schiffe, die den grünen Wasserstoff erzeugen, auch mit diesem betrieben werden, sie seien also emissionsfrei.

Astronaut hat alles durchgerechnet

Und wie kommt die Geschäftsidee von Oceanergy in Wirtschaft und Politik an? „Mittel- bis langfristig“ könne Windernte mit Schiffen durchaus erfolgreich sein – auch wenn es dabei Risiken gebe, sagt Marlen Sunnyi Bohne, Sprecherin der Stiftung Offshore Windenergie. Diese fördert den Bau von stationären Windrädern vor den Küsten.

Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) meint, die Ideen von Oceanergy seien „mit großen technologischen Herausforderungen und mit hohen wirtschaftlichen Risiken verbunden“. Man brauche aber Unternehmen, „die sich an technisch umwälzende Projekte wagen“. Ähnlich sieht dies auch Erik Schweickert (FDP), Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag. In Kapstadt hat er sich zusammen mit einer Delegation aus dem Südwesten vorführen lassen, dass Windernte und Stromerzeugung an Land bereits gelingen.

Messerschmid, früher langjähriger Professor an der Universität Stuttgart und Leiter des Instituts für Raumfahrtsysteme, ist sicher, dass der Windfang auch auf See klappt und wirtschaftlich ist: „Wir haben alles durchgerechnet.“

Geld für preiswerten Wasserstoffe gesucht

Investoren
 Das Stuttgarter Start-up hat schon Zusagen, sucht aber noch weitere Investoren, um in See stechen zu können.

Wirtschaftlichkeit
 Oceanergy könnte Wasserstoff  nach eigenen Angaben zum Preis von zwei Euro je je Kilogramm an Terminals abliefern. Bei Offshorewindparks koste ein Kilogramm zwischen fünf und sechs Euro, heißt es bei dem Start.up. Für zwei Euro könne Wasserstoff aus Fotovoltaikablagen in der Wüste erzeugt werden. Dazu kämen aber noch die Transportkosten.