Der Afrika-Korrespondent Johannes Dieterich schildert vor StZ-Lesern in Stuttgart die Chancen unseres Nachbarkontinents. Und er erklärt seine Liebe zu seiner Wahlheimat.

Stuttgart - Wenn Johannes Dieterich (61) in seiner als Büro genutzten Holzhütte im Garten seines Hauses in Johannesburg sitzt – eine Art Baumhaus – fühlt er sich wie im Dschungel des Kongo, er blickt gen Norden und hat das Gefühl: „Ich habe praktisch den ganzen Kontinent vor mir.“ Im voll besetzten Saal des Hauses der Katholischen Kirche in Stuttgart hat der seit 1990 – mit einer siebenjährigen Pause – in Afrika arbeitende Dieterich am Donnerstagabend über seine Arbeit als Auslandskorrespondent („die Krönung des Journalismus“) berichtet und seiner Wahlheimat, in der er mit seiner vierköpfigen Familie lebt, eine Liebeserklärung gemacht: Johannesburg sei eine unglaublich lebendige und interessante Stadt, mit Zuzügen von Afrikaner vom gesamten Kontinent und spannender als Kapstadt, das sei eher „Afrika light“. Auch mit der Kriminalität habe man, seit es in der Nachbarschaft einen Sicherheitsdienst gebe, keine Probleme mehr.

 

Befragt vom stellvertretenden StZ-Chefredakteur Michael Maurer warf Dieterich einen verhalten optimistischen Blick auf Südafrika und den Kontinent insgesamt. Zum einen sieht er nach der Zeit des korrupten Präsidenten Jakob Zuma, der den Rechtsstaat ausgehebelt und die Wirtschaft „schwer geschädigt“ habe, den südafrikanischen Staat wieder im Aufwind. Das Wirtschaftswachstum – ein Prozent – sei noch bescheiden und angesichts eines Bevölkerungswachstums von drei Prozent werde das Land eigentlich ärmer.

Dennoch glaubt Dieterich, dass der Ex-Geschäftsmann und Zuma-Nachfolger Cyril Ramaphosa die Weichen richtig gestellt habe: „Man braucht Geduld mit ihm, wer 15 Jahren seinen Rücken kaputt machte, kuriert das auch nicht in 15 Tagen.“ Wichtig sei, dass bei den für den 8. Mai angesetzten Parlamentswahlen der ANC unter Ramaphosa ein gutes Ergebnis erziele, denn dann würde dessen Flügel im ANC gestärkt und der von Zuma geschwächt. Südafrika, so Dieterich, könne wieder ein Musterstaat für den Kontinent werden.

Den Eindruck von Michael Maurer, es gehe nicht richtig vorwärts in Afrika, wollte Dieterich so nicht stehen lassen. Die Zeiten, als man vom „verlorenen Kontinent“ sprach, seien vorbei. Derzeit hätten einige Länder ein herausragendes Wirtschaftswachstum, Äthiopien beispielsweise mit zehn Prozent. Die Digitalisierung bringe Chancen und die starken Investitionen der Chinesen in Straßen, das Schienennetz und Häfen zahlten sich aus. Das chinesische Vordringen sei nur gefährlich, wenn afrikanische Eliten sich von China die Bedingungen diktieren lassen oder mit ihm „korrupte Deals“ eingehen. In Dschibuti hätten sie das Hafenmanagement übernommen, in Sambia einen Stromkonzern: „Da geht die Souveränität der Staaten flöten.“ Im Gegensatz zu den Chinesen hätten Europa und die USA den Kontinent „sträflich vernachlässigt“.

In der Telekommunikation haben die Afrikaner das Festnetz glatt übersprungen und gleich auf Handys und Smartphones gesetzt. Begeistert schilderte Dieterich, wie sich in Ostafrika mit Hilfe der Handys ein simples Bezahlsystem genannt M-Pesa durchgesetzt habe, mit dem beispielsweise Städter den armen Verwandten auf dem Land unkompliziert Geld schicken können.

Das System werde weiterentwickelt, sodass sogar Ratenzahlungen per Handy möglich sind: eine Solarstromanlage für 300 Dollar könne sich keiner leisten; wenn er sie aber in Tagesraten von 40 Cents abzahlen dürfe, funktioniere das. „Die Kinder müssen dann abends nicht unter Paraffin-Lampen Hausaufgaben machen. Nach der Solaranlage kann dann die nächste Anschaffung kommen: Kühlschrank, Fahrrad, Fernsehen.“

Zu den Chancen Afrikas zählen Weltkonzerne auch die junge Bevölkerung und das Auftauchen neuer Märkte, da entstehe eine Bevölkerungsdividende, heißt es. Dieterich sieht das ambivalent. Wenn nicht im gleichen Maße wie die Bevölkerung wachse auch Jobs entstünden, drohe „eine soziale Katastrophe“.

Aus dem Publikum ist Dieterich nach Plänen für eine Landreform in Südafrika gefragt worden – ein heikles Thema. Einerseits liege dem ANC ein Antrag vor, man möge Enteignungen ohne Entschädigungen vornehmen: „Dann kriegen wir Simbabwe“, sagte Dieterich. Andererseits müsse etwas verändert werden in einem Land, in dem zehn Prozent der Bevölkerung – den Weißen – 90 Prozent der Landwirtschaftsflächen gehören. Mancher weiße Farmer trete einen Teil seines Landes schon an die schwarzen Arbeiter ab – wissend, dass ihm sonst „vielleicht mal der ganze Laden um die Ohren fliegt.“

Auch nach der Migration aus Afrika ist gefragt worden. Die werde in den nächsten Jahren weitergehen. Junge, ehrgeizige Leuten suchten eine Perspektive. „Das wird man nicht stoppen können.“ Er würde sich aber wünschen, so Dieterich, dass es einen Rahmen für eine geordnete Migration gebe, von der ja auch das Fachkräfte suchende Deutschland profitieren könnte.