Die Gemeinderatsfraktion gilt als Aktivposten, die Partei schwächelt. Der CDU-Kreisverband Stuttgart verliert an Einfluss – und an Mitgliedern. In den vergangenen zehn Jahren schrumpfte er von 3200 auf 2500 Mitglieder.

Stuttgart - Die Stuttgarter CDU erlebt turbulente Zeiten. Sie feierte zuletzt durchaus Wahlerfolge, bringt aber im urbanen Zentrum keinen Fuß auf den Boden. In der Landespolitik spielen die Stuttgarter gar keine Rolle, sie stellen nach dem Verlust des vierten Wahlkreises überhaupt keinen Abgeordneten mehr. In den vergangenen zehn Jahren schrumpfte der Kreisverband von 3200 auf 2500 Mitglieder.

 

Seit 2011 trägt der Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann die Verantwortung. So manches Mitglied dürfte mittlerweile die Frage „Versteht Ihr mich?“ an die Parteifreunde bei der Mitgliederversammlung am Samstag aber eher mit Nein beantwortet haben. Dabei war es nur eine Sprechprobe.

Kaufmann verkannt die Brisanz des Themas

Dabei versprüht der Bundestagsabgeordnete auch nach sieben Jahren im Amt Zuversicht. Trotz berufsbedingter häufiger Abwesenheit wähnt er sich in Stuttgart am Puls von Zeit und Partei. Andere sagen, nach den Ereignissen der vergangenen Monate sei er angezählt. Man brauche einen Kreischef, der nicht die meiste Zeit in Berlin, sondern in Stuttgart verbringe. Kaufmann verkannte die Brisanz des Themas, für Manfred Rommel endlich ein Zeichen der Wertschätzung zu setzen. Dass das CDU-Urgestein Klaus Lang mit Parteiaustritt drohte, wenn nicht ein Platz nach dem Alt-OB benannt würde, war eine Ohrfeige. Danach musste auch noch die Bundestagskollegin und Kreis-Vize Karin Maag mit Rücktritt drohen, damit endlich die Frage verneint wurde, ob es mit christdemokratischen Werten vereinbar sein kann, dass sich der Kreis-Schatzmeister Eberhard Graf an Stuttgarts bekanntestem Bordellgebäude beteiligt. Und dann musste sich Kaufmann auch noch für die unqualifizierten Äußerungen seines Geschäftsführers Bastian Atzger auf Facebook rechtfertigen. Danach hörte man häufig, man wünsche sich Roger Schenk als Geschäftsführer zurück. Er habe den Laden im Griff gehabt.

Referent fodert Abkehr von verkalkter Politik

Am Samstag bekamen die Mitglieder die aktuelle Organisationskraft vor Augen geführt. Der Referent Michael Eilfort von der Stiftung Marktwirtschaft vermochte nur dank der kurzfristig von Stadträtin Beate Bulle-Schmid organisierten Lautsprecheranlage für alle hörbar darzulegen, wie die CDU lebendig bleiben könnte – in „einer alternden Republik“. Mit Blick in den überwiegend mit Mitgliedern weit jenseits der 50 besetzen Kleinen Kursaal predigte er eine deutliche Abgrenzung von den anderen Parteien und eine Abkehr von „verkalkter Politik“. Es bedürfe „mehr Schwärze“.

In finanzieller Hinsicht liefert die CDU bereits. Seit der OB-Wahl 2012, als man mit dem Unternehmer Sebastian Turner verlor und in die Krise rauschte, klaffte ein tiefes, schwarzes Loch in der Kasse. Die Situation sei nun entschärft, sagt der Kreischef. Das strukturelle Defizit sei beseitigt, dafür wurde unter anderem die Geschäftsstelle in die Räume des Landesverbands verlegt, um die Ausgaben den geringen Einnahmen anzupassen. Aus Parteikreisen ist jedoch zu hören, Kaufmann rede die Lage schön, die Lage sei weiterhin angespannt, weil es an Beiträgen, Abgaben von Mandatsträgern und an größeren Spenden mangele. Die Sponsorensuche sei schwierig, weil Gönner befürchten müssten, nicht für den Wahlkampf zu geben, sondern für die Altlastenbeseitigung. Mittlerweile wurde eine Kommission gegründet, die Auswege aus der Finanzkrise finden soll.

Dabei sendet die CDU in Stuttgart sehr wohl Lebenszeichen, sie kommen nur nicht wie früher unter Christoph Palmer oder Gerhard Mayer-Vorfelder von der Kreispartei, sondern von der Ratsfraktion. Ihr Vorsitzender Alexander Kotz genießt den Ruf einer erfolgreichen Führungskraft, die den Fraktionsfrieden sichert und in den Haushaltsberatungen die Grünen am Nasenring durchs Rathaus führt. OB Fritz Kuhn nervt er mit so genannten Visionen für 2030 und Kritik für die Politik bei Wohnen, Verkehr und Feinstaub. Konkrete Lösungen lässt die Union allerdings vermissen. So will sie nun Wiesen und Äcker bebauen, vermeidet aber zu sagen, wo der Bagger anrücken soll.

Zur Kommunalwahl gibt sich Kaufmann optimistisch

Im Oktober wird die Liste mit 60 Kandidaten für die Kommunalwahl 2019 aufgestellt. Kotz ist zuversichtlich: „Wir wollen nicht nur wieder die meisten Sitze holen, sondern von derzeit 17 auf 20 erhöhen.“ Die Nummer eins zu bleiben, ist auch deshalb wichtig, weil man damit den Anspruch auf einen dritten Bürgermeisterposten wahrt. 2019 steht die Wiederwahl von Finanzbürgermeister Michael Föll an. Mit einem guten Ergebnis würden erst gar keine Diskussionen aufkommen. Ob er überhaupt weitermacht, weiß die CDU derzeit aber nicht.

Junge-Union-Chef Maximilian Mörseburg will mehr jugendliche Frische im Rathaus: „Im Moment hat die CDU-Fraktion keinen Stadtrat unter 40, das werden wir ändern.“ Eine starre Jugendquote lehne er aber ab. Für ihn hat die Partei kein Nachwuchsproblem. Man stelle mit Fabian Mayer den jüngsten Bürgermeister, mit Benjamin Völkel einen Kreisvize und mit Matthias Schaible den neuen Schatzmeister. Stärker als die JU wurde seither die Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) als Aktivposten wahrgenommen. Sie soll die Ziele der CDU in der Kommunalpolitik verwirklichen und mit Veranstaltungen zu aktuellen Themen Stadt- und Bezirksbeiräten den Informationsaustausch ermöglichen. Seit Roland Schmid den Vorsitz an Thomas Rudolph abgegeben hat, lahmt die KPV. Dafür setzte es Kritik im Kreisvorstand. Rudolph muss mit seiner Abwahl rechnen.

Bei der OB-Wahl geht’s dann ums Ganze

2020 geht es ums Ganze. Kaufmann muss die OB-Wahl-Niederlage ausmerzen, andernfalls droht ihm das Schicksal aller politischen Verlierer. Derzeit geht man davon aus, dass Fritz Kuhn (Grüne) eine zweite Amtszeit anstrebt. Entscheidet er sich dagegen, würde sich die CDU freuen, wenn die Landtagspräsidentin Muhterem Aras antreten würde. Mit einem Quereinsteiger braucht Kaufmann nicht mehr zu kommen, ein vielvesprechender Bürgermeister aus Württemberg wäre das Höchste der Gefühle. Viele rechnen aber damit, dass er selbst antreten will. Der Kreisvorsitzende fühlt sich von seinem Umfeld ermuntert, hält sich aber ebenso bedeckt wie Karin Maag, die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Für die Kandidatur ist der Kreisvorsitz ein Sprungbrett, Kaufmann wird deshalb im November wieder antreten. Mit Benjamin Völkel steht der Nachfolger bereit. Er kann aber warten.

Als erfolgsversprechende Kandidatin gilt vor allem Susanne Eisenmann. Die Kultusministerin hat derzeit alle Optionen, selbstverständlich auch die, anzutreten, um erste Oberbürgermeisterin von Stuttgart zu werden. Eisenmann schweigt dazu so laut, dass man sie nicht nein sagen hört.