Zum ersten Mal in der Geschichte hebt in einer europäischen Stadt ein ferngesteuertes Flugtaxi ab. Das ist ein Tag von historischer Bedeutung. Doch sind die Menschen wirklich bereit, sich von autonomen Fluggeräten chauffieren zu lassen? Wir haben uns umgehört.

Stuttgart - Klingen so also die Städte der Zukunft? Punkt 14 Uhr hebt am Samstagnachmittag von einem Fußballfeld vor dem Mercedes-Benz Museum „zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt“ ein Flugtaxi vom Boden ab. Auch wenn kaum zu erwarten ist, dass die Premiere misslingt, herrscht auf dem proppenvollen Platz vor dem Museum, von wo aus der Flug des Volocopter 2X beobachtet werden kann, gespannte Erwartung.

 

Die insgesamt 18 Rotoren, die den 700 Kilogramm schweren Prototypen aus der Ideenschmiede des gleichnamigen Bruchsaler Start-ups anheben und vorantreiben, erzeugen eine Art flatterndes Sirren. Nicht wirklich unangenehm, so lange nur einer in der Luft ist. Und natürlich viel ähnlicher dem Geräusch, das eine Drohne macht, als dem ohrenbetäubenden Lärm, der von einem Helikopter ausgeht.

Die Präsentation, die live zur IAA nach Frankfurt und ins Internet übertragen wird, dauert kaum mehr als vier Minuten. Vom Rand des Fußballfelds aus lenken Pilot und Co-Pilot das weiße Lufttaxi per Fernsteuerung in rund 30 Metern Höhe zuerst ein wenig auf die Zuschauer zu. Dann dreht sich der unbemannte Volocopter einmal um die eigene Achse, bevor er wieder etwas zurücksetzt, um wieder sanft auf dem Fußballfeld zu landen.

Die Menge jubelt

Das war’s. Unter den Zuschauern brandet Beifall auf, sogar ein Johlen geht durch die Menge. Haben wir soeben Fluggeschichte miterlebt? Wird es in 100 Jahren heißen: Das erste Lufttaxi der Geschichte hob in Europa in Anwesenheit des Ministerpräsidenten, des Landesinnenministers und des Daimler-Chefs in Bad Cannstatt ab? Gut möglich. Vielleicht war es aber auch nur ein Event für Technik-Begeisterte.

Letztere waren am Themenwochenende „Vision Smart City“ im und um das Mercedes-Benz Museum jedenfalls eindeutig in der Mehrheit. Schon kurz nach Beginn der Veranstaltung bildet sich eine lange Schlange vor einem Volocopter-Modell, in dem man schonmal probehalber Platz nehmen darf. Das Fluggerät bietet Raum für zwei Personen und etwas Gepäck. Kein Steuerknüppel, keine Bordtechnik, nur ein Bildschirm.

Die Vision des elektrisch angetriebenen Flugtaxis sieht, abgesehen von einer Übergangsphase, keine Piloten vor. Am Ende, so die Macher, soll alles algorithmengesteuert funktionieren. Die Antwort auf die Frage, ob sich genug Menschen in der Luft den Befehlen eines Computers anvertrauen wollen, wird wohl über Erfolg und Misserfolg der Technologie entscheiden.

Verkehrsproblem auf höherer Etage

Alexander Leutritz aus Möhnesee im Sauerland, der eigens auf der Rückfahrt aus dem Schwarzwald-Urlaub Halt in Stuttgart gemacht hat, um den Flug des Volocopters mitzuerleben, ist absolut optimistisch: Die Idee eines elektrisch angetriebenen, autonom fliegenden Flugtaxis sei der richtige Weg, den Verkehr von der Straße wegzubringen. „Vor allem dort, wo noch gar keine Straßen existieren“, sagt er und denkt dabei vor allem an Entwicklungsländer.

Auch Anette Belz aus Stuttgart glaubt, dass sich Flugtaxis in naher Zukunft etablieren werden und hofft, „dass sich das nicht nur Reiche leisten können“. Auf kritische Stimmen trifft man an diesem Nachmittag eher selten: Ingo Rothenberg, der mit dem Drahtesel aus Leonberg angefahren ist, glaubt: „Man verschiebt mit dem Flugtaxi das Verkehrsproblem in die nächste Etage.“

Ob den Traum vom „Fliegen für jedermann“ tatsächlich viele träumen, genau das wollen an diesem Tag Professor Patrick Planing und sein Team herausfinden. Der Wirtschaftspsychologe der Hochschule für Technik in Stuttgart untersucht parallel zur Entwicklung des Flugtaxis die gesellschaftliche Akzeptanz der neuen Technologie. Zu diesem Zweck verteilten am Samstag Studenten des Studiengangs Wirtschaftspsychologie Fragebögen an möglichst viele Besucher – einmal vor und einmal nach dem Präsentationsflug des Volocopters.

Studie zum Sicherheitsgefühl

„Wir wollen feststellen, ob sich etwas in der Einstellung der Menschen dadurch verändert,“ erklärt Planing. Mit dem Fragebogen wollen die Forscher zum Beispiel herausbekommen, ob der Volocopter „Sicherheit ausstrahlt“ oder ob man sich sicherer fühlen würde, „wenn der Volocopter von einem Piloten gesteuert wird“. Rund 1000 Probanden wollen die Wissenschaftler befragen. Dass vor dem Mercedes-Benz Museum an diesem Tag besonders viele technikaffine Menschen anzutreffen sein könnten, räumt der Wissenschaftler ein. Erste Ergebnisse aus der Studie sollen Ende des Jahres vorliegen.

Ob freilich Stuttgart auch irgendwann das erste Anwendungsfeld für Flugtaxis sein wird, weiß auch Patrick Planing nicht. Sicher sei aber, dass „wir hier ein Stück weit Forschungsgeschichte schreiben“, so der Wissenschaftler. Eine Einschätzung, die dann doch wieder dafür sprechen könnte, dass der Samstag, an dem in Stuttgart das erste Flugtaxi in Europa abhob, ein historischer Tag war.