In der Auseinandersetzung über die verkaufsoffenen Sonntage hat die Gewerkschaft Verdi einen Erfolg errungen. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs gegen die Stadt Sindelfingen hat eine grundsätzliche Bedeutung für Händler und Kommunen im Land.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Im Grundsatzstreit über die verkaufsoffenen Sonntage hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg den Handel und die Kommunen in die Schranken gewiesen. Die Gewerkschaft Verdi blieb mit einem Normenkontrollantrag gegen die Satzung der Stadt Sindelfingen von Dezember 2015, wonach am 3. April, 3. Juli und 30. Oktober 2016 aus Anlass eines Frühlings-, Sommer- sowie Kinderfestes geöffnet werden durfte, erfolgreich.

 

Das Mannheimer Gericht erklärte die Satzung für unwirksam: Das Ladenöffnungsgesetz des Landes setze voraus, dass die Freigabe der Sonntagsöffnung „aus Anlass von örtlichen Festen, Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ erfolge. Dabei dürfe es sich „nicht um Alibiveranstaltungen handeln“. Verdi misst der Entscheidung eine generelle Bedeutung bei: „Zum ersten Mal hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, dass nicht jeder frei erfundene Anlass als Grund für eine Abweichung vom verfassungsmäßig gebotenen Schutz des Sonn- und Feiertags herangezogen werden kann“, sagte Landesfachbereichsleiter Bernhard Franke dieser Zeitung. „Es braucht echte Anlässe, die eine Einschränkung des arbeitsfreien Sonntags ermöglichen.“

„Deutliche Strahlkraft“ der Entscheidung erwartet

Bisher war der VGH nur mit Eilverfahren befasst. Diese hat Verdi in der Regel verloren – auch im Fall Sindelfingen. Ausnahme: Ende April hatte der VGH auch im einstweiligen Verfügungsverfahren eine Sonntagsöffnung in einem Baden-Badener Einkaufszentrum untersagt. Jetzt haben die Mannheimer erstmalig in der Hauptsache entschieden. „Ich gehe davon aus, dass dies eine deutliche Strahlkraft auf die Reihe anderer anhängiger Fälle haben wird“, betont Franke. Den Städten werde vor Augen geführt, „dass nicht jeder fadenscheinige Anlass für einen verkaufsoffenen Sonntag taugt“. Da müssten sie sich in Zukunft viel mehr Mühe geben als bisher. Noch offen sind demnach Klagen etwa in Ludwigsburg oder Baden-Baden. „Wir haben aber nicht in jedem Fall geklagt“, sagt Franke. „Wir sind keine Prozess-Hanseln und hoffen, dass wir davon verschont bleiben, auch in anderen Fällen vor Gericht zu ziehen.“ Zudem gebe es Veranstaltungen, deren Tradition Verdi anerkenne und die aus sich selbst heraus einen großen Zuspruch auslösten – dort sei der verkaufsoffene Sonntag als „Annex“ zu verstehen. In der Praxis werde es aber oft umgekehrt gehandhabt.

Auf der Siegerstraße sieht sich das breite gesellschaftliche Bündnis gegen den verkaufsoffenen Sonntag mit Gewerkschaften, Kirchen und Initiativen speziell seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von November 2015. Das Leipziger Gericht hat den Städten damit sozusagen eine Checkliste vorgegeben, die sie prüfen müssen, um einen Anlass für geeignet zu erklären.

Handelsverband moniert „Willkür“

Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg, hat den für ihre Seite negativen Ausgang des Verfahrens erwartet. Die Begründung könne aber so nicht stehen bleiben, sagt sie. Denn das Gericht befindet: „In der Gesamtschau zeige sich, dass nicht wie vom Gesetzgeber vorgegeben die Veranstaltungen Anlass für die Ladenöffnung, sondern umgekehrt die sonntägliche Ladenöffnung Anlass für die Veranstaltungen gewesen sei.“ Hagmann rügt, es dürfe nicht sein, dass solche Ereignisse je nach Veranstaltungsort abweichend beurteilt würden: Mal würden die Anlässe zugunsten der Händler, mal zugunsten der Kläger ausgelegt. „Diese Begründung zeigt aus meiner Sicht, dass das Ladenöffnungsgesetz in Baden-Württemberg der Willkür Tür und Tor öffnet.“ Daher sei es zwingend, den Anlassbezug aus dem Gesetz zu nehmen und gegen eine objektiv überprüfbare Regelung auszutauschen. „Es müssen klarere Paradigmen her, sodass Handel und Kommune solche Verkäufe besser planen können.“ Die unterschiedlichen Urteile verschärften die Unsicherheit der Händler und der Kommunen – „gerade jetzt, wo wir gegen den überproportional wachsenden digitalen Handel an Sonntagen zu kämpfen haben und wo wir die Innenstadt mit dem verkaufsoffenen Sonntag ins Schaufenster stellen müssen“.

So groß ist der Druck der Kommunen gar nicht

Maximal drei verkaufsoffene Sonn- und Feiertage pro Kommune sind erlaubt. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsministeriums von Mitte dieses Jahres ist der Druck auf den Sonntag allerdings verhalten: Unter 654 von 1101 sich beteiligenden Gemeinden im Südwesten haben 463 im Vorjahr mindestens einen verkaufsoffenen Sonntag gehabt. Insgesamt 990 Shopping-Tage ergeben einen Schnitt von 2,1 Tagen. 191 Kommunen hatten keine solche Aktion. „Nicht riesig“ sei der Drang, gesteht auch Hagmann. Manche Städte sähen erst jetzt, dass sie etwas für ihr Image tun müssten.