Der 27-Jährige, der im Dezember 2022 in Illerkirchberg ein Mädchen erstach und ihre Freundin gefährlich verletzte, muss lebenslang in Haft. Die Urteilsgründe im Detail.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Das Landgericht Ulm hat am Dienstag einen Flüchtling aus Eritrea wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die 3. Große Strafkammer unter Vorsitz von Wolfgang Tresenreiter sah als erwiesen an, dass der 27-jährige Angeklagte am Morgen des 5. Dezember die 14-jährige Ece auf dem Schulweg erstach, ihre 13-jährige Freundin, ebenfalls in Mordabsicht, gefährlich mit dem Messer verletzte.

 

Kriminalistisch war dieser Fall frühzeitig vor Prozessbeginn geklärt; DNA-Spuren am Messer, Faserübertragungen von der Kleidung der Mädchen auf Hose und Jacke des Angreifers sowie Geständnisse in einer Polizeivernehmung sowie gegenüber dem psychiatrischen Gutachter Peter Winckler waren eindeutig. Offen blieb stets die Frage nach dem Warum. Der Eritreer, der im Prozess zum Tathergang konsequent schwieg, hatte Polizisten gegenüber gesagt, er habe am 5. Dezember mit dem Messer einen Überfall aufs Landratsamt geplant gehabt, um im dortigen Passamt Rache an einem Sachbearbeiter zu nehmen, der ihm die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer verweigerte. Vor der Tür seiner Asylunterkunft seien ihm die beiden Mädchen begegnet. Sie hätten sein Messer gesehen, so der Mann – da habe er um seinen Racheplan gefürchtet und zugestochen. Erst als er das ganze Blut gesehen habe, sei sein spontaner Entschluss gefallen, sich nun auch umzubringen.

Rache als leitendes Motiv

Wie schon die Staatsanwaltschaft übernahm nun auch das Gericht in seinem Urteil diese Erzählung, für die es allerdings keine weiteren Zeugen gibt. Der Eritreer habe mit einem Ausweis in den Sudan oder nach Äthiopien reisen wollen, um dort eine Frau zu finden, die wiederum seine Erektionsprobleme heilen sollte, so das Gericht. In seiner inneren Welt sei der Angeklagte wohl ab November vergangenen Jahres zur Entscheidung gekommen: „Das Landratsamt hat mein Leben verpfuscht.“ Tresenreiter: „Es ergibt sich das Bild einer Person, die zornig ist und die mit ihrem Leben abgeschlossen hat.“ Einen Pass habe er beim Landratsamt nie erzwingen wollen, nur Rache nehmen.

Für ausgeschlossen hielt die Kammer, dass die Pläne des Angeklagten zumindest teilweise auf einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober fußten. Darauf weise kein einziger Satz des Täters hin, so Tresenreiter. Die Leipziger Richter hatten im Fall eines anderen Eritreers entschieden, dass subsidiär schutzberechtigten Ausländern ein Reiseausweis nicht verweigert werden dürfe, sofern das Generalkonsulat des Herkunftsstaates die Passausstellung an eine „Reueerklärung“ knüpfe, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat gleichzusetzen sei. Die Verteidigerin des Angeklagten in Ulm hatte in den Raum gestellt, ihr Mandant könne von dem höchstrichterlichen Urteil erfahren haben. Das Landratsamt Ulm hatte die neue Rechtslage im Dezember aber noch nicht umgesetzt.

Die Zweifel des Gutachters werden nicht geteilt

Verworfen hat das Gericht die Zweifel des Gutachters Winckler zum Antrieb des Täters. Zum Ende des dritten Prozesstages am 20. Juni trug Winckler in Bezug aufs Mordmotiv vor: „Das ist eine Frage, die kann ich Ihnen nicht beantworten.“ Was das Geständnis mit dem abgebrochenen Überfall aufs Ulmer Passamt anbelange, habe er sich „von Anfang an gefragt, ob das die ganze Wahrheit ist“. Der Gutachter hielt auch ein sexuelles Motiv für denkbar. „Beide Mädchen waren hübsch.“ Vor allem die sieben Stiche in den Kopf der 14-jährigen Ece, die „sehr schöne Haare“ hatte, seien auffällig. Der Vernichtungswille, mit dem das Mädchen ermordet wurde, könnte aus Tätersicht stellvertretend allen Frauen gegolten haben, „die locken und zugleich zurückweisen“.

Eine Schuldunfähigkeit sah Winckler nicht. Da sei keine Schizophrenie, keine schwere Persönlichkeits- oder Bewusstseinsstörung erkennbar, hatte er ausgeführt. Auch sei der Angriff keine Affekttat gewesen. Dem wiederum schloss sich das Gericht an. „Der Angeklagte handelte aus seiner Sicht keineswegs grundlos“, so der Richter.

Lob für die Haltung der Angehörigen

Weil zwei Mädchen angegangen wurden und gleich zwei juristische Mordmerkmale erfüllt seien – das Merkmal der Heimtücke sowie laut Richter die „Absicht zu töten“, genannt Verwerflichkeit der inneren Einstellung – sprach das Gericht zusätzlich zur lebenslangen Haft die strafverschärfende besondere Schwere der Schuld aus. Das bedeutet, dass der Verurteilte nicht erstmals nach 15 Jahren die vorzeitige Entlassung auf Bewährung beantragen kann. In der Praxis kann ein Gericht bis zu zehn zusätzliche Haftjahre verhängen.

Auch zum Urteilstag kamen die Eltern der überlebenden 13-Jährigen in den Saal. Ihnen, ebenso wie den Eltern von Ece, wandte sich Tresenreiter direkt zu, er nahm dabei Bezug auf die Demonstrationen rechter Gruppen in Illerkirchberg und Versuche der Vereinnahmung. „Ihre bewusste Entscheidung, sich konsequent jeder Hetze entgegenzustellen, verdient Hochachtung.“

Erleichterung für Eritreer

Urteil
 Seit Oktober dürfen Passämter Flüchtlinge, die einen Reisepass für Ausländer begehren, nicht mehr an deren Botschaft verweisen, sofern sich die Ausstellung an eine „Reueerklärung“ mit dem Charakter einer strafrechtlichen Selbstbezichtigung knüpft. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (AZ: BVerwG 1 C 9.21).

Zielgruppe
 Die Entscheidung gilt für subsidiär schutzberechtigte Ausländer, also Menschen, denen weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden, denen aber im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Der Täter von Illerkirchberg fiel unter diese Kategorie.