Die Zulassung zum Medizinstudium muss nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden. Das war überfällig, kommentiert Christoph Link.

Stuttgart - Manchmal ist es das Bundesverfassungsgericht, das die Politik zum Handeln auffordert, ihr Fristen setzt und Leitlinien für Gesetze vorgibt. Das war einst beim Urteil über das Tragen von Kopftüchern an Schulen so, aber auch bei der Erbschaftsteuer. Das ist nun wieder der Fall bei der Zulassung zum Medizinstudium. Karlsruhe hat den Gesetzgebern in Bund und Ländern den Auftrag erteilt, einen seit langem bestehenden Missstand zu korrigieren. Bei den Medizinstudienplätzen vergibt der Staat ein knappes Gut. Aber die Art und Weise wie er es im bundesweiten Auswahlverfahren sowie direkt an den Hochschulen tut, ist zum Teil verfassungswidrig. Es verstößt gegen das Recht auf freie Berufswahl und verletzt die Chancengleichheit der Bewerber.

 

Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass es so spät erfolgt. Schon vor 40 Jahren hat das Verfassungsgericht in seinem letzten Grundsatzurteil zur Zulassungsbeschränkung (Numerus Clausus) beim Medizinstudium festgestellt, dass die „Lebenschancen“ für im Prinzip gleichberechtigte Abiturienten gleich verteilt sein müssten und es verfassungsrechtlich bedenklich sei, einen erheblichen Teil der jungen Leute mit Hochschulreife vom Studium ihrer Wahl auszuschließen.

Ein Quell an Ungerechtigkeit

Bekannt war die Misere, doch haben weder Bund noch Länder etwas daran geändert. Sie haben ihren Job nicht gemacht. Dabei grenzt die Lage ans Absurde: Jedes Jahr stehen rund 43 000 Bewerbern nur rund 9000 Studienplätze zur Verfügung, und eines der wesentlichen Kriterien für die Zulassung ist die Abiturnote. Doch ein Einser-Abiturient muss nicht immer der am besten geeignete Arzt sein. Zudem sind die Abiturnoten der 16 Bundesländer kaum vergleichbar, das System trägt also einen Quell an Ungerechtigkeit in sich.

Auch ist die Zahl der – zugegebenermaßen – für die Länder teuren Medizinstudienplätze seit 1990 um 2000 abgebaut worden. Ein Unding angesichts der Tatsache, dass Deutschland jedes Jahr 3000 ausländische Ärzte ins Land holt, um im ländlichen Raum den Bedarf zu decken. Gleichzeitig werden Studenten, die es sich leisten können, zum Medizinstudium ins Ausland gedrängt. Oder Bewerbern, für die Arzt der Traumberuf ist, werden Wartezeiten von siebeneinhalb Jahren zugemutet.

Der Flaschenhals wird bleiben

Das Karlsruher Urteil zwingt den Gesetzgeber zum Handeln, aber es fällt milde aus. Es schafft den Numerus Clausus nicht ab und stellt die Abiturbestnote als ein entscheidendes Kriterium nicht grundsätzlich in Frage. Auch verlangt es keine Erhöhung der Kapazitäten an Studienplätzen, weshalb die Reaktionen der Politiker auf das Urteil wohlwollend ausgefallen sind. Der Flaschenhals, der den Zugang zum Studium beengt, wird bleiben. Aber es wird eine höhere Verteilungsgerechtigkeit eintreten, wenn das Urteil durchgesetzt wird: Es muss ein bundesweit standardisiertes Eignungsverfahren an den Universitäten, die über 60 Prozent der Plätze selbst entscheiden dürfen, eingeführt werden. Der Gesetzgeber muss die Unis auch verpflichten, in den Eignungstests neben der Abiturnote ein zweites Kriterium einzuführen – zum Beispiel eine medizinnahe Ausbildung oder soziale Faktoren. Viele Hochschulen tun das schon, in Baden-Württemberg alle, weshalb Wissenschaftsministerin Theresa Bauer sich „bestärkt sieht im baden-württembergischen Weg“. Überdies wird die Ungerechtigkeit mit den unterschiedlichen Abi-Noten der Länder beseitigt.

Bund und Länder müssen sich nun auf Eignungstests festlegen. Mit der Neuregelung wird auf die Hochschulen mehr Arbeit zukommen, da sie nicht nur die Abiturnote als Prüfkriterium heranziehen dürfen. Eignungsgespräche sind immens zeitaufwendig. Aber die jetzt angeordnete Reform ist überfällig. Das Schaffen von zusätzlichen Studienplätzen sollte sich die Politik überdies zur Aufgabe machen – freiwillig.