Hinter den USA und ihrem Präsidenten liegt ein politisch extremes Jahr. Der Milliardär im Weißen Haus hat sich im Amt eingerichtet und agiert ohne politische und rhetorische Grenzen. Das Jahr 2019 könnte für das Land aber noch aufreibender werden.

Washington - Die glitzernden Kronleuchter und die goldenen Vorhänge im Weißen Haus spiegeln die Stimmung des Hausherrn, als Donald Trump in den ersten Tagen des Jahres 2018 mit der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg vor die Kameras tritt.

 

Der US-Präsident lobt die aktuellen Waffenkäufe Oslos in den USA und schwärmt schließlich von den Handelsbeziehungen beider Länder. „Es klingt schockierend: Wir haben einen Überschuss“, sagt Trump mit gespielter Empörung: „Aber ich kann Ihnen versprechen: Wir bekommen mehr und mehr Überschüsse in der Welt.“

Migration aus „Drecksloch-Staaten“

Amerika zuerst. Die Welt als Marktplatz. Die Verbündeten als Kunden. Das sind nicht die einzigen Stereotype, die Trump kurz nach Neujahr formuliert, um sie in den nächsten Monaten gebetsmühlenartig zu wiederholen. „Es gab keine Zusammenarbeit mit den Russen“, stimmt er seinen wichtigsten Refrain bei Twitter an und fordert die Verhaftung von Hillary Clinton.

Einen Tag nach dem Treffen mit Solberg sitzt er mit Abgeordneten zusammen: „Warum kommen alle diese Leute aus Drecksloch-Staaten zu uns?“, poltert er über Migranten aus Mittelamerika und Afrika: „Wir sollten mehr Leute aus Ländern wie Norwegen haben!“ Die Medien sind empört, Trumps Anhänger jubeln.

Revolte gegen Experten

Sein Sieg bei den Wahlen 2016 hatte den Milliardär selber überrascht. Das erste Amtsjahr 2017 war geprägt von chaotischen Selbstfindungsprozessen im Weißen Haus. Damals hatten Optimisten noch gehofft, gemäßigte Minister und Berater könnten den offenkundigen Narzissten einhegen.

Doch damit ist es 2018 vorbei gewesen. Offen revoltiert Trump gegen die „sogenannten Experten“ in seinem Umfeld. „Nicht gratulieren!“, schreiben sie nach der umstrittenen russischen Präsidentschaftswahl auf seinen Sprechzettel. Trump greift zum Telefon und beglückwünscht seinen Freund Wladimir Putin.

„Ein Genie“, sagt Trump

„Es hat eine Weile gedauert, bis der Präsident überblickt hat, wie viel Einfluss er auf die Dinge nehmen kann“, gesteht Trumps Berater Rudy Giuliani im März: „Jetzt sieht er ein freies Feld vor sich.“ Seither akzeptiert Trump nur noch eine Autorität – seine eigene.

„Ich bin ein sehr stabiles Genie“, bescheinigt er sich selbst. Den Demokraten, die seiner Regierungserklärung nicht applaudieren, unterstellt er Staatsverrat. Er feuert Außenminister Rex Tillerson, der das Iran-Abkommen beibehalten will, und seinen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, der Putin kritisch sieht.

Merkel geht auf Distanz

Selbst in der Russland-Affäre übernimmt er seine eigene Verteidigung. Die Republikaner sind zu einer Truppe opportunistischer Claqueure geworden. Trump hat seine Ketten weggesprengt. Ein US-Präsident, der die Welt als Arena betrachtet, in der jeder rücksichtslos zum eigenen Vorteil agiert, der demokratische Werte schnöden Nützlichkeitserwägungen unterordnet, der Diktatoren hofiert und Staatsmorde an Regimekritikern mit einem Achselzucken quittiert – das hat es lange nicht gegeben.

Die westliche Welt hat noch keine Antwort darauf gefunden. Bundeskanzlerin Angela Merkel wahrt im April bei ihrem Besuch im Weißen Haus kühle Distanz und genießt es, beim Ausflug nach Georgetown von den liberalen Washingtonern wie ein Popstar gefeiert zu werden.

Und der kanadische Premierminister Justin Trudeau erlebt ein jähes Ende seiner Charmeoffensive beim G-7-Gipfel in La Malbaie, als sich Trump  nach der Abreise aus der Air Force One meldet, um die Abschlusserklärung zu zerreißen und den Gastgeber zu beleidigen.

Trumps Freund Putin

Im Juli steht Trump in Helsinki neben Russlands Präsident Putin, den er als Machtmenschen und Autokraten bewundert. Für die schlechten Beziehungen zwischen Washington und Moskau macht Trump die „amerikanische Verrücktheit“ vor seiner Zeit und die Untersuchungen durch Sonderermittler Robert Mueller verantwortlich.

Putin streitet ab, dass Russland versucht habe, die US-Wahlen 2016 zu beeinflussen. Die US-Geheimdienste halten das für erwiesen. Wem er nun glaube, wird Trump gefragt. „Präsident Putin sagt, dass Russland nichts getan hat“, antwortet er, „und ich sehe keinen Grund, warum es das getan haben sollte“.  

Gegen die eigenen Behörden

Ein Präsident, der im Ausland seine eigenen Behörden desavouiert und die Sprachregelung der fremden Macht übernimmt – nicht einmal die Macher der zynischen Politserie „House of Cards“ sind auf eine solche Idee gekommen. Trump wiederholt dieses Muster ein paar Monate später, als er dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman im Mordfall Khashoggi mehr glaubt als den Erkenntnissen der CIA.

Ungehemmt verstößt der Präsident gegen Normen, die den Amerikanern heilig sind: Er lügt und täuscht, verhöhnt den Kriegshelden John McCain und liefert mit Angriffen auf die Presse den Diktatoren aller Länder einen Persilschein.

Hohn und Spott

Immer wieder klagt Trump, die Vereinigten Staaten seien mit ihrer Kompromissbereitschaft zur „Lachnummer“ der Welt verkommen: „Die denken, wir sind Idioten.“ Ende September steht der Präsident in New York persönlich vor den Regierungschefs und Außenministern von 193 Staaten.

Er beginnt seine Rede bei den Vereinten Nationen mit einem kräftigen Selbstlob. „Wir haben mehr erreicht als jede andere Regierung in der US-Geschichte“, prahlt der Präsident, als im großen Saal der UN offenes Gelächter ausbricht. Trump hat unfreiwillig seine eigene Wahrnehmung bestätigt. Doch weder mit Enthüllungsbüchern, die nun in den Buchläden stehen, noch mit Spott auf dem diplomatischen Parkett ist einem Mann beizukommen, der keine Selbstzweifel kennt.

Der Präsident schürt Angst

In einer Sitzreihe neben den Ex-Präsidenten Barack Obama, Bill Clinton und Jimmy Carter wirkt Trump bei der Trauerfeier für den verstorbenen George H. W. Bush im Dezember wie ein Fremdkörper. Aber er braucht die Unterstützung dieses Teils Amerikas nicht. Rund 80 Prozent der Republikaner-Wähler stehen hinter ihm. Bei Kundgebungen wie in der einstigen Industriestadt Erie im Norden Pennsylvanias kann man die rechte Basis treffen.

Es sind weiße Männer in kurzen Hosen und derben Arbeitsschuhen, die um ihre Jobs und die gewohnte Ordnung fürchten. Trump schürt gezielt die Angst und setzt einen Nationalismus mit rassistischem Unterton dagegen. Seine Slogans von den „verbrecherischen Demokraten“, den „kriminellen Ausländern“ und der neuen Stärke des Industriestandorts USA fallen hier auf fruchtbaren Boden. „Loyale Leute wie Ihr habt das Land aufgebaut“, ruft Trump seinen Unterstützern zu. „Zusammen holen wir uns das Land zurück!“

Trump ist unberechenbar

Trump ist mit der Zerstörung alter Werte weit gekommen. Kurz vor Weihnachten überlässt er die kurdischen Verbündeten in Syrien ihrem Schicksal, feuert Verteidigungsminister James Mattis und steuert das Land in einen Haushaltsnotstand. Trump ist außer sich – wohl auch, weil er weiß, dass sich 2019 die Bedingungen ändern: Erstmals bietet dem Präsidenten eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus Paroli.

Sonderermittler Mueller hat sich mit belastendem Material munitioniert. Und die Konjunktur beginnt zu stottern. Die Zeit, in der Trump alleine die Regeln des Spiels festlegen konnte, geht zu Ende. Doch zur Entwarnung gibt es keinen Anlass: Je größer der Widerstand, desto unberechenbarer dürfte Trump reagieren.