Die Aktenaffäre ist keineswegs ausgestanden. Am Mittwoch durchforstet der Untersuchungsausschuss die verbliebenen Dokumente. Der Bundesinnenminister kündigt derweil eine umfassende Reform des Geheimdienstes an.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Am Mittwochvormittag wird der Untersuchungsausschuss des Bundestags, der die Neonazi-Mordserie aufklären soll, einen kuriosen Betriebsausflug nach Treptow unternehmen. Dort unterhält das Bundesamt für Verfassungsschutz auf dem ehemaligen Kasernengelände des preußischen Telegraphen-Bataillons Nr. 1 eine Filiale. An gleicher Stelle ist das gemeinsame Terrorabwehrzentrum der Sicherheitsbehörden untergebracht. Die Tour der Parlamentarier in den Südosten Berlins dient der Abwehr anderen Unheils: Die Abgeordneten versuchen dort Licht in die Düsternis der Aktenaffäre zu bringen, über die der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, gestolpert ist.

 

Der Geheimdienst hat dem Untersuchungsausschuss zugesagt, dass er sämtliche Akten zur „Operation Rennsteig“ einsehen könne, die nicht im Reißwolf gelandet sind. Dabei geht es um 25 Ordner, sieben weitere wurden vernichtet. Hinter dem Decknamen „Operation Rennsteig“ verbirgt sich der Versuch, die rechtsextreme Organisation „Thüringer Heimatschutz“ auszuspähen. Dazu wurden seit Ende der neunziger Jahre angeblich insgesamt zwölf Spitzel aus der braunen Szene angeworben. Acht davon wurden vom Bundesamt geführt, sieben der einschlägigen Akten aber vernichtet.

Spitzel im Umfeld des Zwickauer Terror-Trios?

Der Untersuchungsausschuss hofft, dass sich aus den verbliebenen Akten Rückschlüsse auf den Inhalt der geschredderten Papiere ziehen lassen. Den Abgeordneten geht es darum aufzuklären, ob der Verfassungsschutz unmittelbar Kontakt zu dem Zwickauer Terrortrio oder Spitzel in dessen Umfeld hatte. Vor dem Innenausschuss des Bundestags hatte der scheidende Amtschef Fromm behauptet, das Trio sei „von uns nicht geführt“ worden und „nach bisherigem Wissen auch nicht von Landesämtern“.

Die Recherchen könnten sich schwierig gestalten, weil es auch Lücken in der sogenannten Klarnamendatei geben soll. Das ist ein Register mit den Tarnnamen der V-Leute und ihrer realen Identität. Diese Datei gilt als „das Allerheiligste“ des Geheimdienstes, so sagen Sicherheitsexperten. Angeblich wurden nicht alle Spitzel, die im Rahmen der „Operation Rennsteig“ angeworben wurden, in diesem Index registriert – „aus operativen Gründen“, wie es heißt. Darüber empört sich Wolfgang Wieland, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss sitzt. Es gebe „keinen billigenswerten Grund“, den zuständigen Instanzen des Parlaments die Klarnamen der V-Leute vorzuenthalten. Die wahre Dimension des Aktenskandals lasse sich erst beurteilen, wenn vollständig aufgeklärt sei, welche Kontakte der Verfassungsschutz zu diesem Milieu unterhalten habe.

Wer steckt hinter den Tarnnamen?

„Wir werden den Abgeordneten des Untersuchungsausschusses die Klarnamen all derjenigen, die dort angeworben wurden, beziehungsweise wo Anwerbeversuche gemacht wurden, bereitstellen.“ Das hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Dienstag in einem Rundfunkinterview zugesagt. Unklar ist bis jetzt noch, ob der komplette Ausschuss Einblick in die heikle Datei nehmen darf oder ob dies nur dem Ermittlungsbeauftragten des Gremiums, Bernd von Heintschel-Heinegg, einem Anwalt aus Straubing, gestattet wird.

Der Minister hatte Fromm ein Ultimatum gesetzt. Bis Dienstagabend sollte dieser einen umfassenden Bericht über den Aktenschwund vorlegen. Friedrich will sich mit Fromms Rücktrittsgesuch nicht begnügen. „Das eigentlich Schlimme an der ganzen Geschichte“ sei, so sagte er, „dass durch diesen Vorgang jeder seine Verschwörungstheorien in die Welt setzen kann.“ Nun wolle er die Arbeitsweise, die Struktur und die Kontrolle der Behörde unter die Lupe nehmen und „ganz in Ruhe über Reformen“ reden. Für die Frage, wer auf Fromms Posten nachrückt, sei es „noch viel zu früh“. Der Verfassungsschutz, so betont der Minister, sei „ja nicht für sich da, sondern er ist für die Information der Abgeordneten als Vertretung der Bevölkerung da“.

„Das Konfetti ist verstreut“

Am Donnerstag muss Fromm dem Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. SPD-Obfrau Eva Högl erwartet, dass er sich umfassend zu der Affäre äußern wird. Doch zunächst ist jener Beamte geladen, der das Schreddern der Akten veranlasst hatte. Es müsse geklärt werden, „ob das aus Dusseligkeit, Dummheit oder Vorsatz geschah“, so Högl.

Die vernichteten Papiere selbst lassen sich wohl nicht mehr rekonstruieren. „Da ist nichts mehr da“, sagte der Grüne Wieland, „das Konfetti ist verstreut.“ Zudem ist bis jetzt unklar, ob der Aktenvernichter zu Aussagen bereit ist. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren. Ihm drohen auch strafrechtliche Schritte.

Wieland hält weitere Konsequenzen für erforderlich. „Da gibt es Versagen auf breiter Front“, sagt er. Sein CDU-Kollege Clemens Binninger fügte hinzu: „Ich warne davor, Fromm zum alleinigen Sündenbock zu machen.“