Der Markt für Verschwörungstheorien ist riesig. Der Tübinger Experte Michael Butter hat ihn sich genauer angeschaut. Der Amerikanistik-Professor erklärt, woran man erkennen kann, welche Theorie berechtigte Kritik ist – und was nur kruder Unsinn.

Tübingen -

 
Herr Butter, Verschwörungstheorien sind selbst in der Politik salonfähig geworden. Trump, Putin, Orbán und die AfD: Sie alle glauben an dunkle Verschwörungen.
Trotzdem sind Verschwörungstheorien noch lange nicht so beliebt und einflussreich wie vor hundert oder zweihundert Jahren. Damals waren sie fest in allen medialen, wissenschaftlichen und politischen Diskursen verankert. Es war völlig normal, daran zu glauben, auch unter amerikanischen Präsidenten.
Welche Verschwörungstheorien sind momentan am meisten verbreitet?
Es gibt Umfragen der Uni Mainz, die zeigen, dass es eine ganze Reihe von Verschwörungstheorien zum NSU-Prozess gibt. Auch die Klassiker – die Mondlandung oder 9/11 – sind weiterhin sehr beliebt. Zwischen 10 und 20 Prozent der Bevölkerung glauben an eine Verschwörungstheorie, zum Beispiel, dass sie durch Chemtrails – also durch Flugzeuge versprühte Substanzen – gefügig gemacht werden. Es gibt auch Menschen, die an Reptiloide glauben.
Was sind Reptiloide?
Das sind diejenigen, die nach Ansicht des britischen Verschwörungstheoretikers David Icke die Welt beherrschen: eine außerirdische Reptilien-Elite, die sich von unserer negativen Energie ernährt und für alle Konflikte der Erde verantwortlich ist.
Wie gefährlich sind solche Theorien?
Sie sind dann ein Problem, wenn sie einen rassistischen oder antisemitischen Gehalt haben oder sich gegen Minderheiten richten. Der Nationalsozialismus und der Holocaust beruhen auf der Idee der jüdischen Weltverschwörung. Es kann auch gefährlich werden, wenn sich der Zorn gegen Repräsentanten der vermeintlichen Eliten richtet – so wie bei dem „Reichsbürger“, der einen Polizisten erschossen hat.
Hat das Ganze eine politische Dimension?
Verschwörungstheorien können zu einer Politikverdrossenheit führen. Wenn man davon ausgeht, dass eh alle Parteien unter einer Decke stecken, dann geht man entweder gar nicht mehr zur Wahl oder man wählt die Partei, die sich als die eine Alternative versteht – auch wenn die meiner Meinung nach überhaupt nicht zur Lösung unserer Probleme beiträgt.
Hat die Flüchtlingskrise die Verbreitung von Verschwörungstheorien erhöht?
Die Theorie der „Umvolkung“ ist momentan die am weitesten verbreitete im deutschsprachigen Raum. Sie geht davon aus, dass Europa gezielt islamisiert werden soll – von wem, ist meist nicht ganz klar, aber letztlich geht darin alles andere auf: Der 11. September wurde verursacht, um den Nahen Osten zu destabilisieren und 15 Jahre später die Flüchtlinge in Bewegung zu setzen. Die können sich in Europa frei bewegen, weil wir das Schengener Abkommen haben. Also ist auch der europäische Einigungsprozess ein Teil des Komplotts.
Sie sagen, dass der Schweizer Daniele Ganser der bekannteste Verschwörungstheoretiker im deutschsprachigen Raum ist. Was ist an ihm so besonders?
Daniele Ganser ist jemand, der das Label Verschwörungstheoretiker ganz stark zurückweist – eben wegen der stigmatisierenden Wirkung, die es noch immer hat. Er nimmt für sich in Anspruch, immer nur Fragen zu stellen, obwohl er dabei das Gegen-Narrativ schon unterstellt. Das macht er vor allem zu 9/11, wo er immer wieder auf Gebäude Nummer 7 herumreitet, das eingestürzt ist, obwohl es von keinem Flugzeug getroffen wurde. Er macht das sehr geschickt, ohne herumzubrüllen, sondern sehr bedächtig und professionell.
Als Verschwörungstheoretiker kann man auch Kritiker verunglimpfen. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Man muss sich anschauen, wie Personen argumentieren. Geht es um berechtigte Kritik? Oder gehen die Leute davon aus, dass alles miteinander verbunden ist und nichts ist, wie es scheint. Letzteres ist bei Daniele Ganser gegeben.
Wie kann ich als Normalbürger legitime Kritik von einer Verschwörungstheorie unterscheiden?
Sie merken es am ehesten daran, dass kein Raum für Zufälle gelassen wird. Natürlich gibt es Absprachen und Lobbyismus in der Wirtschaft und der Politik. Auch Verschwörungen hat es gegeben und wird es immer geben. Nehmen wir die Kennedy-Ermordung: Da kann ich mir gut vorstellen, dass der Attentäter nicht alleine war. Aber das heißt doch noch lange nicht, dass es die ganz große Verschwörung gibt, an der Hunderte von Menschen beteiligt waren. So etwas ließe sich doch niemals über eine so lange Zeit geheim halten.
Wie gut lassen sich Verschwörungstheorien zu Geld machen?
Unfassbar gut. Man muss immer unterscheiden zwischen denjenigen, die sie verbreiten, weil sie wirklich daran glauben oder weil sie politische Interessen verfolgen. Und denen, die ökonomische Interessen verfolgen. Das überschneidet sich auch manchmal. Der Markt dafür ist auf jeden Fall riesig.