Der Bodensee ist Trinkwasserspeicher für Millionen Menschen. Die Verbreitung fremder Tierarten gefährdet nicht nur die heimische Tierwelt. Wie im Fall der Quagga-Muscheln richtet die massive Ausbreitung auch gewaltige finanzielle Schäden an. Die Muschel macht den Wasserwerken Probleme, weil sie Leitungen verstopft.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die Wasserwerke am Bodensee kämpfen gegen eine invasive Muschelart, die sich rapide ausbreitet. Für die Trinkwasserqualität sei die bis zu vier Zentimeter lange Quagga-Muschel zwar kein Problem, allerdings setzte sie sich in Leitungen und an Filteranlagen fest, erklärte eine Sprecherin der Bodensee-Wasserversorgung. Mit speziellen Filtern, größeren Leitungen und neuen Reinigungsmethoden nehmen die Wasserversorger um den Bodensee den Kampf gegen den vor rund zehn Jahren aus dem Schwarzmeerraum eingeschleppten Eindringling auf.

 

Muscheln verursachen Millionenschäden

Zwei Mitarbeiter der Bodenseewasserversorgung kontrollieren eine technische Anlage in Sipplingen. Die Quagga-Muschel gefährdet nicht nur heimische Tierarten im Bodensee, sondern auch technische Anlagen und damit die Wasserversorgung für Millionen von Menschen. Foto: Patrick Seeger/dpa
Remo Schnyder (re.), Brunnenmeister bei Regio Energie Amriswil (REA), und Anton Sax, Mitglied der Geschäftsleitung von REA, zeigen im Seewasserwerk Kesswil in der Schweiz wie ein Molch in das Rohrleitungssystem zur Bekämpfung gegen die Quagga-Muschel eingesetzt wird. Foto: dpa/Felix Kästle
Riesige Pumpen stehen im Pumpwerk der Bodenseewasserversorgung. Die Bodenseewasserversorgung muss zusätzlich Personal einstellen, um die Muscheln zu beseitigen. Foto: Patrick Seeger/dpa

Laut einer Studie der Universität Konstanz aus dem vergangenen Jahr könnte die invasive Muschel Schäden in Millionenhöhe verursachen. Auch am Genfer See und am Bielersee sei sie schon angekommen. Der Zürichsee sei dagegen noch frei davon.

Die Quagga-Muschel bereitet demnach Probleme bei der Wasserentnahme und bei Heiz- und Kühlanlagen, da sie Rohre verstopft. Dies führt zu Schäden in Millionenhöhe. Zudem hat die Quagga-Muschel die Nährstoffdynamik in den Großen Seen der USA verändert. Der Phosphorkreislauf in den eingedrungenen Großen Seen wird jetzt durch die Populationsdynamik einer einzigen Art dominiert: der Quagga-Muschel.

„Eine solche Vermehrung der Quagga-Muscheln kann zu großen Veränderungen im Ökosystem führen, insbesondere zu einer Verlagerung der biologischen Produktivität aus der Freiwasserzone des Sees in die Uferzone“, heißt es in der Studie.

Zunahme der Muscheln um das Neun- bis Zwanzigfache

Mit Flyern werden Bootsbesitzer rund um Zürich darauf hingewiesen, die Boote vor einem Einsatz im Zürichsee zu reinigen, um die Muschel nicht einzuschleppen. In bereits befallenen Gebieten kann die Ausbreitung laut einem der Experten nicht mehr aufgehalten werden.

Der Studie zufolge wird die Quagga-Muschel-Masse pro Quadratmeter im Bodensee, Genfer See und Bielersee in den nächsten zwei Jahrzehnten voraussichtlich um das Neun- bis Zwanzigfache zunehmen, verursacht vor allem durch eine stärkere Besiedlung der tieferen Bereiche der Seen. Dies könne zu großen Veränderungen im Ökosystem führen.

Die ursprünglichen Verbreitungsgebiete der Quagga-Dreikantmuschel sind die Mündungsgebiete der Flüsse Südlicher Bug, Dnepr und Inhulez am Schwarzen Meer. Foto: Patrick Seeger/dpa
Quagga-Muscheln wachsen auf dem Boden in einer technischen Anlage der Bodenseewasserversorgung in Sipplingen. Die Muschel breitet sich seit mehreren Jahren massiv im Bodensee aus. Foto: Patrick Seeger/dpa

2016 erste Quagga-Muscheln im Bodensee entdeckt

Die Quagga-Muschel kommt ursprünglich aus dem Einzugsgebiet des Schwarzen Meeres. 2016 wurden erste Tiere im Bodensee gefunden. Wie sie dorthin gelangt sind, lasse sich nicht mehr genau rekonstruieren, sagte Thorsten Rennebarth vom Institut für Seenforschung in Langenargen.

Zwei Mitarbeiter der Bodenseewasserversorgung kontrollieren eine technische Anlage. Foto: Patrick Seeger/dpa
Auf dem Boden der Anlagen haben sich massiv Quagga-Muscheln angesiedelt. Foto: Patrick Seeger/dpa

Wahrscheinlich sei eine Einschleppung per Boot oder Wassersportausrüstung. Denkbar sei auch, dass die Tiere über Wasservögel vom Rhein eingeschleppt wurden. Welche Auswirkungen sie auf das Ökosystem im Bodensee haben werden, ist ebenfalls noch unklar. Dazu liefen noch Untersuchungen. Rennebarth: „Absehbar ist jedoch, dass die Muscheln in den Massen, in denen sie den Seegrund besiedeln, eine Nahrungskonkurrenz im See darstellen.“

Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) schätzt, man dürfte am Bodensee ungefähr 15 Jahre von der Situation am US-amerikanischen Lake Michigan entfernt sein. Dort habe sich die Muschel so stark ausgebreitet hat, dass sie nun 90 Prozent der Biomasse stelle.

Info: Invasive Arten

Eingewanderte Tiere
Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz haben sich in Deutschland in den vergangenen 500 Jahren rund 900 gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten in der Natur dauerhaft etabliert und ausgebreitet. Dazu kommen rund 1640 gebietsfremde Pflanzen-, 38 Pilz- und 460 Tierarten, die bislang nur vereinzelt nachgewiesen wurden.

Invasionsbiologie
Das Einrücken von sogenannten Neobiota in ein artfremdes Territorium hat etwas von einer feindlichen Übernahme. Neobiota sind Arten, die es sich ohne Einfluss des Menschen in einem Gebiet etablieren, in denen sie ursprünglich nicht heimisch sind. Invadierende Pflanzen heißen Neophyten, Tiere Neozoen. Zu den erfolgreichsten Neozoen gehört die Wanderratte (rattus norvegicus). Der britische Zoologe Charles Sutherland Elton (1900-1991) war der erste, der 1958 von einer Invasionsbiologie sprach.