Der VfB Stuttgart sichert sich in einem denkwürdigen Spiel in Dortmund einen Punkt. Die Mannschaft geht nun mit Rückenwind ins Rennen um einen Europa-League-Platz.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Der Italiener der Stuttgarter Wahl hatte einiges von Fabrizio Ravanelli, dem Ex-Nationalstürmer von Juventus Turin, den sie daheim „la penna bianca“ (die weiße Feder) nennen. Der westfälische Gastronom, der unter seinem gräulich-weißen Haupthaar eine runde Brille trägt, servierte seine Pasta nebst Salat nach Spielschluss direkt in die Kabine des VfB – das Olivenöl und die Flasche Balsamico-Essig gingen sogar aufs Haus.

 

Dem Stuttgarter Ballverteiler Tamás Hajnal allerdings genügte kurz nach diesem historischen 4:4 an alter Wirkungsstätte, einem „Mörderspiel“ (Dortmund Trainer Jürgen Klopp), zunächst aber ein Apfelschnitz. „Wir haben jetzt Straftraining“, murmelte der Ungar schwer verständlich, er hatte ja das Obst im linken Mundwinkel. Das war natürlich ein Scherz, denn in Wahrheit hatte der Trainer Bruno Labbadia nur Vorsorge getroffen. Also ließ er seine Profis vor der viereinhalbstündigen Busfahrt nach Stuttgart noch im Dortmunder Stadion auslaufen – und gab den Spielern am frühen Samstagmorgen nach der Ankunft am Wasen für zwei Tage frei.

Diese Verschnaufpause haben sich die Akteure auch redlich verdient. Durch die Heimniederlagen von Leverkusen und Bremen ist der VfB an beiden Clubs in der Tabelle vorbeigezogen und wäre somit in dieser Konstellation am Saisonschluss ohne Wenn und Aber für die Europa League qualifiziert. So gut stand der Club, der inzwischen seit sechs Partien nicht mehr verloren hat, in dieser Saison tabellarisch seit dem zweiten Spieltag nicht mehr da.

"Jetzt schauen wir Richtung Europa"

Doch neben dem reinen Ergebnis hatte der VfB beim Tabellenführer auch Emotionales zu bieten gehabt. Hatte da jemals einer behauptet, der erlebnisarme VfB wüsste seine Fans nicht zu begeistern? „Jeder der 80 000 im Stadion darf dem Schicksal dankbar sein, dass er eine Karte hatte und bei diesem Spiel dabei war“, sagte der Manager Fredi Bobic – und das war nicht einmal übertrieben. Schließlich lagen die Stuttgarter in diesem irren Spiel, für Bobic war es „Hochgeschwindigkeitsfußball“, kurz nach der Pause mit 0:2 zurück, führten dann mit 3:2, ehe der BVB eine 4:3-Führung herausschoss, die die Gäste in letzter Sekunde noch egalisieren konnten.

Fußballer haben feine Antennen dafür, dass ein solches Spiel, obwohl es formal auch nur einen Punkt wert ist, dem Team einen großen Schub, einen inneren Zusammenhalt für die restliche Saison geben kann. „Wenn wir ohne einen Punkt nach Hause gefahren wären, dann wäre das für den Kopf sicher schwierig gewesen“, sagte Christian Gentner, dem in der zweiten Minute der Nachspielzeit der umjubelte Ausgleich gelungen war. „Dortmund ist sicher eine Mannschaft, die besser ist als wir. Aber wir haben gezeigt, dass wir an guten Tagen mithalten können. Jetzt schauen wir in Richtung Europa.“

Auch Labbadia („Für solche Spiele lohnt es sich, Trainer zu sein“) hat mit dem VfB noch einiges vor. In Dortmund hat das Team bewiesen, dass es fit ist für die kleine internationale Bühne namens Europa League. Der BVB ist trotz seines frühen Ausscheidens aus der Champions League in seiner aktuellen Form auch international eine größere Hausnummer. Immerhin hat der Club seit 22 Bundesligaspielen nicht mehr verloren.

Bobic: "Wollen mit Schieber verlängern"

Bezeichnend beim VfB war, dass in dem Doppeltorschützen Schieber und in Gentner neben Vedad Ibisevic gerade Spieler aus der Region die Tore machten und schon deshalb eine besondere Beziehung zum VfB haben. Vom Präsidenten Gerd Mäuser zuletzt verbal abgekanzelt, legte der Manager Bobic sogleich ein klares Bekenntnis zu Julian Schieber ab, dessen Vertrag im Juni 2013 ausläuft. „Er ist ein Teil der erfolgreichen Entwicklung des VfB“, so Bobic, „wir wollen deshalb mit ihm verlängern.“

Der Trainer war derweil mit Schieber ("er hat jetzt die Kraft, die er für sein Spiel braucht“) wie mit dessen Kollegen hochzufrieden. „Von der Emotionalität auf dem Platz und der Intensität her“, sagte Bruno Labbadia, „war es diesmal so, wie ich mir das vorstelle. In der ersten Phase meiner Amtszeit ging es darum, die Ergebnisse zu liefern. Jetzt geht es um die spielerische Entwicklung der Mannschaft.“ Auf diesem Weg, so der 46-Jährige, habe seine Elf einen riesigen Schritt nach vorne getan.

Nur die Idee mit der Pasta aus der Küche des Dortmunders Ravanelli kam nach diesem denkwürdigen 4:4 irgendwie nicht so gut an. „McDonald’s, McDonald’s!“, hallte es gut vernehmbar aus der VfB-Kabine. Was auf der Reise nach Europa ein akzeptabler Zwischenstopp wäre.