Bisher hat der in Degerloch lebende Autor bemerkenswerte Romane über die konfliktbeladenen Verhältnisse zwischen dem Kosovo und Deutschland geschrieben. Nun wechselt er die Seiten und geht als Botschafter des kleinen Balkan-Staates nach Berlin.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Schriftsteller sind Botschafter der Wahrheit, auch wenn die literarische Wahrheit eigenen Gesetzen gehorcht. Sie können zum Beispiel ihren Lesern vermitteln, wie man sich fühlt, wenn man aus einem fernen Winkel in das reiche Deutschland kommt, um das Glück zu suchen, und nur Probleme findet. Der kosovo-albanische Schriftsteller Beqe Cufaj hat in seinem Roman „Der Glanz der Fremde“ davon erzählt: was es heißt, einem Volk anzugehören, von dem einer seiner beiden Romanhelden sagt, das Einzige, was sich von ihm lernen ließe, sei, wie man es schafft, sein Leben lang aus den Schwierigkeiten nicht herauszukommen.

 

Seit vielen Jahren lebt Beqe Cufaj mit seiner Familie in Degerloch. An diesem Vormittag hat er seine jüngere Tochter noch angefeuert, die in der Mädchenmannschaft des SV Hoffeld kickt – und vielleicht auch wegen des engagierten väterlichen Einsatzes drei zu null gewonnen hat. Doch vermutlich wird sie sich bald einen neuen Verein suchen müssen. Manche Migrationsgeschichte könnte man so beginnen, um nun eine Wende ins Tragische einzuleiten – Geschichten, wie sie Cufaj selbst erzählt hat. Doch seine eigene geht anders. Sie handelt nicht von Abschiebung, nicht vom trügerischen Glanz der Fremde, sondern von einer wundersamen Berufung. Denn der 1970 im Kosovo geborene Schriftsteller soll künftig in Berlin Botschafter seines Landes werden.

Das Kosovo beging im Februar den zehnten Jahrestag seiner Unabhängigkeitserklärung, ohne dass man sagen könnte, Europas jüngster Staat sei seinen Schwierigkeiten entwachsen. Erst vor Kurzem hat die EU ihre Rechtsstaatsmission Eulex nach zehn Jahren in der heutigen Form eingestellt. Der größte Auslandseinsatz der Staatengemeinschaft stand wegen mangelnder Durchschlagskraft und Korruptionsvorwürfen immer wieder in der Kritik. Auch darüber hat Cufaj einen viel beachteten Roman geschrieben: In „Projekt@party“ berichtet er über die soziale, wirtschaftliche und politische Misere eines Landes, in dem das Helferheer der Internationalen Gemeinschaft eine Art humanitäres Belagerungsregime etabliert hat.

Im Kosovo ist Deutschland das beliebteste Land

Bisher hat die Familie in Degerloch schräg gegenüber vom einstigen Wohnhaus des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss gewohnt. Nun steht die Akkreditierung durch den aktuellen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier im Berliner Schloss Bellevue an. Kein Wunder, wirkt der temperamentvolle, herzliche Autor ein wenig so, als könnte er selbst noch nicht ganz fassen, in welchen Film er da geraten ist. Und als genieße er an dem sonnigen Nachmittag noch einmal in vollen Zügen die Freiheit, in legerer Jeans und offenem Hemd im Café lümmeln zu dürfen, bevor sich künftig sein öffentliches Auftreten dem strengen Reglement der Diplomatie zu fügen hat.

Am 20. Februar 2008 erkannte die Bundesrepublik Deutschland das Kosovo als souveränen Staat an. Anders als die EU-Staaten Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern, die mit Blick auf eigene ungelöste Minderheitenfragen oder Abspaltungsbewegungen diesen Schritt bisher verweigert haben. 2009 wurde die Botschaft in Berlin eröffnet, zu der vier Konsulate gehören. Deren oberster Dienstherr wird nun also ein Schriftsteller, der vor 22 Jahren, während des bewaffneten Konflikts mit Serbien um die Kontrolle des Kosovo, als junger Journalist in Bonn akkreditiert war. Damals leitete Frank-Walter Steinmeier das Bundeskanzleramt. Man kennt sich. „Steinmeier weiß alles über den Balkan“, sagt Beqe Cufaj. Hoch rechnet er ihm an, durch seine Anwesenheit bei der Beerdigung von Ibrahim Rugova, dem ersten Präsidenten der damals noch unter Uno-Verwaltung stehenden serbischen Provinz, ein Zeichen gesetzt zu haben.

„Zeichen aus Berlin – darauf wartet man im Kosovo“, sagt Cufaj und klingt nun nicht mehr wie ein Schriftsteller, sondern wie jemand, der sich schon einmal in ein neues Sprach-Register vortastet. „Deutschland ist im Kosovo das beliebteste Land, nur in Berlin weiß das niemand. Hier lebt die größte kosovarische Diaspora in Europa. Und das sind nicht mehr die Gleichen, die vor zwanzig Jahren ins Land kamen. Mittlerweile sind aus ihnen Handwerker, Gärtner, Gastronomen, Akademiker, Unternehmer geworden, fleißige Leute.“

Wie verträgt sich Literatur mit offiziellen Sprachregelung?

So viel auf dem Gebiet der Integration auch erreicht worden sei, so viel liege auf dem der Wahrnehmung und der Kommunikation immer noch im Argen. Das Kosovo gelte als zutiefst korruptes Land, als schwarzes Loch des Balkans: „Allen Nachbarländern werden Visaliberalisierungen gewährt, nur dem Kosovo nicht, das ist beschämend.“ Den Wahl-Degerlocher schmerzt besonders, dass der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei seiner jüngsten Balkanreise wohl Serbien, Kroatien und Bosnien besucht hat, aber das Kosovo links liegen ließ. „Das muss sich ändern, in Baden-Württemberg leben immerhin 100 000 Kosovoalbaner.“ Während man dem designierten Botschafter zuhört, fragt man sich doch, wie sehr der frühere Autor zu dem Bild beigetragen hat, das einem vor Augen steht, wenn man an das Kosovo denkt. Verschafft Literatur nicht dem Verdrängten, dem Ungezähmten und Widersprüchlichen Ausdruck? Wie verträgt es sich damit, nun im Dienst offizieller Sprachregelungen zu stehen? Beqe Cufaj sieht zwischen beiden Missionen keinen Bruch. „Ich war immer politisch, und mir ging es in meinem Schreiben immer um gerechtere Lebensverhältnisse, daran werde ich auch in meiner neuen Funktion arbeiten.“

Einer seiner engen Freunde ist der serbische Schriftsteller Dragan Velikic. Auch er war im diplomatischen Dienst, als Botschafter Serbiens in Österreich. Ihm sei mit auf den Weg gegeben worden, so erzählte er Beqe Cufaj einmal, sich von kosovarischen Diplomaten unbedingt fernzuhalten. Doch kaum sei er in Wien angekommen, habe er als erstes den Amtskollegen aus dem prekären Nachbarland begrüßt. Vielleicht stehen Schriftstellern eben doch noch andere, universalere Verständigungsmöglichkeiten zu Gebote, jenseits aller Protokolle.

Beqe Cufaj sieht seine Aufgabe darin, Beziehungen neuen Schwung zu geben. Die im Schwäbischen tief verwurzelte Familie freut sich auf die Berliner Luft. „Es ist nicht immer leicht, mit Künstlern zusammenzuleben“, sagt Cufaj augenzwinkernd, „mit Diplomaten wird es sicher einfacher.“