Webasto ist als Hersteller von Autodächern und Heizungen bekannt. Jetzt investiert der Zulieferer massiv ins Geschäft mit der Elektromobilität. Im Interview erklärt Vorstandschef Holger Engelmann auch, warum das Unternehmen von der wachsenden Beliebtheit des SUV profitiert.

Stuttgart - Der Trend zur Elektromobilität bereitet vielen Automanagern wegen drohender Jobverluste Sorgen. Der Zulieferer Webasto blickt anders auf den Markt. Der Hersteller von Autodächern und Heizungen produziert künftig auch Batterien und Ladestationen und will damit bis zu einer Milliarde Euro Umsatz machen. Im Gespräch erläutert Vorstandschef Holger Engelmann seine Strategie.

 

Herr Engelmann, Webasto hat ehrgeizige Pläne für den Aufbau von Aktivitäten rund um die E-Mobilität. Schrumpft Ihr angestammtes Geschäft im Zeitalter der Elektroautos, sodass Sie einen Ausgleich brauchen?

Nein. Der Trend zur Elektromobilität berührt den Dachmarkt eigentlich nicht. Was uns stärker umtreibt, ist das autonome Fahren. Da die Frau oder der Mann am Steuer dann wesentlich weniger auf das reine Fahren konzentriert sein wird, gewinnt der Innenraum des Autos an Bedeutung. Und da sehen wir große Chancen, denn wir können das Fahrerlebnis im Auto vergrößern, zum Beispiel durch Dächer mit Beleuchtungsfunktionen oder einer schaltbaren Verglasung.

Gibt es überhaupt noch einen Bedarf an Schiebedächern, wo doch die meisten Autos mit einer Klimaanlage ausgestattet sind?

Ich bin jetzt seit gut zehn Jahren bei Webasto, in dieser Zeit haben wir den Umsatz im Dachbereich fast verdoppelt, und die Nachfrage wächst weiter. Die Ausstattungsquoten sind insgesamt – trotz Klimaanlage – gestiegen. Und: Der Trend geht vom Schiebedach zum Panoramadach. Da profitieren wir zum Beispiel von der wachsenden Beliebtheit des SUV, dem straßentauglichen Geländewagen; die Autos haben alle in der Regel ein Panoramadach, das geöffnet werden kann. Gut für uns ist, dass das größere Panoramadach eine ganz andere Wertigkeit hat als das Schiebedach. Der andere Trend, der uns zugute kommt, ist das Wachstum in China. Und die Chinesen lieben Panoramadächer.

Warum begeben Sie sich trotz der guten Perspektiven auf das neue Feld der Elektromobilität und bauen Batterien, Elektroheizungen und Ladestationen?

In der Tat sind unsere Prognosen für unser bestehendes Geschäft positiv. Und wir bauen unsere Produktpalette und unsere Kapazitäten für Dach- und Thermosysteme weiter aus. Aber wir sind in unseren Kerngeschäftsfeldern Weltmarktführer, das heißt, der Wachstumsspielraum ist begrenzt. Also haben wir entschieden, den Trend zur Elektromobilität zu nutzen, weil sich hier ein neuer Markt auftut, in dem wir viele unserer Stärken ausspielen können: Wir sind zum Beispiel gut darin, ein System wie das Schiebe- oder Panoramadach in ein größeres System, das Auto, einzubauen. Wir wissen zum Beispiel, wie die Funktionalität eines Dachs auch bei schlechten Straßenverhältnissen oder bei großen Temperaturunterschieden erhalten bleibt. Um die Fähigkeit der Systemintegration geht es auch bei der Batterie. Und wir kennen die Anforderungen der Hersteller, können weltweit Projekte umsetzen und Lieferanten steuern.

Wie sind Sie auf Ladestationen gekommen?

Genauso. Wir haben gesehen, dass viele unserer Fähigkeiten hier gefragt sind. Wir kennen die Standards der Fahrzeughersteller und sind weltweit nah beim Kunden. Ziel ist es zum einen, die Ladestationen direkt an die Hersteller zu liefern, die sie dann zusammen mit den E-Autos an die Kunden verkaufen. Wir haben bereits zwei größere Aufträge von Automobilherstellern erhalten. Zudem haben wir eine starke Stellung auf dem Teile- und Zubehörmarkt. Das nutzen wir für den Vertrieb an Geschäfts- und Privatkunden. Über unsere Partner können wir auch Services wie Installation oder Abrechnung anbieten.

Wo steht Webasto im Batteriegeschäft?

Wir haben relativ schnell unseren ersten Auftrag für die Fertigung einer Batterie von einem europäischen Bushersteller bekommen und haben weitere Anfragen. Außerdem haben wir ein eigenes Standard-Batteriesystem entwickelt. Es hat für den Fahrzeughersteller den Vorteil, dass er weniger investieren muss als in eine eigens für ihn entwickelte Lösung und auch für kleine Stückzahlen zu guten Konditionen ein individualisiertes Batteriesystem bekommt. Für dieses Produkt haben wir an unserem Stammsitz in Stockdorf ein Entwicklungsteam aufgebaut; der Prototypenbau und die technische Prüfung werden in Hengersberg in Niederbayern angesiedelt. Parallel bauen wir diese Aktivitäten in China auf, in Shanghai und in Jiaxing bei Shanghai. Mit der Produktion starten wir in Schierling bei Regensburg. Sobald wir in China Projekte gewonnen haben, fertigen wir auch dort.

Wer liefert die Batteriezellen?

Wir sind kein Zellhersteller und werden auch nie einer werden. Als Systemintegrator kaufen wir Zellmodule zu. Für unser Standard-Batteriesystem für Nutzfahrzeuge kooperieren wir mit Samsung SDI. Die Entscheidung für einen Zelllieferanten trifft aber letztlich der jeweilige Kunde.

Webasto fertigt grundsätzlich vor Ort für den lokalen Markt – auch die Batterien?

Ja, auch deshalb weil die Batterien so schwer sind, dass man in der Nähe der Kunden produzieren muss. Auch ein großes Panoramadach kann nicht über Tausende von Kilometern transportiert werden. Da sind wir zum Beispiel in China mit unseren zehn Werken gut positioniert. Und wir haben das Know-how und die Erfahrung, schnell neue Produktionsstandorte aufzubauen.

Ihr Pilotkunde ist ein Bushersteller. Haben Sie kein Interesse am Pkw-Markt?

Doch, wir haben natürlich auch den Pkw-Markt im Blick, aber in den Innenstädten geht es nicht nur um Personenwagen. Der Transport von Gütern und der öffentliche Nahverkehr müssen rasch elektrifiziert werden, weil das Emissionsproblem vor allem ein Problem der Innenstädte ist.

Die großen Pkw-Hersteller geben dieses Geschäft doch bestimmt nicht aus der Hand.

Der Markt wird rasch wachsen und sich in Segmente unterteilen. Wir gehen davon aus, dass es eine gewisse Dreiteilung geben wird. Ein Teil des Marktes wird von den Fahrzeugherstellern selbst bedient, ein zweiter Teil von den Zellherstellern, und ein dritter Teil steht Integratoren wie uns offen. Bei der Entscheidung eines Herstellers geht es nicht nur um die Stückzahlen, sondern beispielsweise auch um die Technologiekompetenz. Aber ein großvolumiges Automodell wird er wahrscheinlich selbst ausstatten, Aufträge mit kleineren Stückzahlen eher nach außen geben. Davon werden auch wir profitieren.

Ein E-Auto braucht keine fossile Standheizung. Wie sind da die Perspektiven?

Auch unser Thermobereich hat gute Wachstumsperspektiven. Der Markt für fossile Standheizungen wird mit zunehmender E-Mobilität schrumpfen. Aber jedes E-Auto braucht eine Heizung, und das ist eine große Chance. Wir haben bereits ein Produkt für das elektrische Heizen, einen Hochvolt-Heizer, der im Markt gut angenommen wird, sodass wir das schrumpfende Standheizungsgeschäft langfristig womöglich sogar überkompensieren können. Zudem wird es Synergien im Austausch mit dem Batteriebereich geben. Auch da ist Thermomanagement-Kompetenz wichtig. Wie bekomme ich die Batterie geheizt? Wie wird sie gekühlt? Ist ein Batterieheizer, integriert in die Batterie, die Lösung? Da arbeiten wir gerade dran.

Wie viel investiert Webasto in das Geschäft rund um die Elektromobilität?

Wir investieren in den nächsten drei Jahren 600 Millionen Euro in die strategische Weiterentwicklung, einen Großteil davon in Sachanlagen, Entwicklung und Personal für die E-Mobilität. Das ist zwar eine erhebliche Summe, aber wir stehen finanziell sehr stabil da, sind schuldenfrei.

Nicht jeder Job kann erhalten werden. Wie gehen Sie mit den Beschäftigten um?

Wir nutzen unsere vorhandenen Strukturen und bauen unsere Kapazitäten marktgerecht aus. Dabei ist uns wichtig, den Mitarbeitern eine Perspektive zu geben. Die Beschäftigten haben Fachwissen und Erfahrung, und da wäre es töricht, das bei der Weiterentwicklung nicht zu berücksichtigen. Wir versuchen, unsere bestehenden Standorte auch für die neuen Geschäftsbereiche zu nutzen. Ist das immer zu 100 Prozent möglich? Nein. Aber in der Summe sehe ich das positiv.

Die Beschäftigung steigt also?

Ja. Ende 2017 waren wir bei 3,5 Milliarden Euro Umsatz. Unser Anspruch ist es, in den nächsten Jahren auf fünf Milliarden Euro zu wachsen. Und dieses Wachstum bedeutet mehr Beschäftigung. Da spielen die neuen Bereiche auch eine entscheidende Rolle, denn sie sollen ein weiteres starkes Standbein für uns werden. Da bauen wir Stellen auf, die dann zum Teil vielleicht auch in anderen Bereichen wegfallende Arbeitsplätze ersetzen. So kann ich mir vorstellen, dass wir in zehn Jahren mehr Beschäftigung im elektrischen Heizen als im fossilen Heizen haben. Aber in der Summe erwarten wir einen Anstieg unserer Beschäftigung durch die Elektromobilität.