Frank-Walter Steinmeier ist als Bundespräsident für Deutschland eine gute Wahl, für die Kanzlerin allerdings eine Schmach, meint der StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Auch wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt würde, was viele wünschen, dann würde er künftig wohl Frank-Walter Steinmeier heißen. Diesen Eindruck erwecken zumindest Umfragen, welche die Beliebtheit von Politikern abzubilden versuchen. Die Bürger haben aber kein Mitspracherecht, wenn es um den höchsten Posten im Staat geht. An ihrer Stelle entscheidet am Sonntag ein elitärer Kreis von Parlamentariern und einigen illustren Gästen, die zwar prominent sind, doch alles andere als repräsentativ das Wahlvolk vertreten. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie sich nicht auf den SPD-Mann verständigen, ungeachtet einiger Fruststimmen aus dem schwarzen Lager, das zwar die Mehrheit stellt, aber keinen Kandidaten.

 

Lesen Sie auch: Wir berichten live von der Wahl des Bundespräsidenten.

Die Sehnsucht nach einer Direktwahl des Präsidenten ist naiv und geschichtsvergessen

Die Sehnsucht nach einer Volkswahl des Staatsoberhaupts ist so weit verbreitet wie politisch naiv und geschichtsvergessen. Solche plebiszitäre Deko lässt sich nicht einfach an das Verfassungsgebäude anflicken, ohne dass eine fatale Unwucht entstünde. Der unselige Reichspräsident Paul von Hindenburg lässt grüßen, Hitlers Steigbügelhalter, nach dem in Deutschland noch immer Straßen und Plätze benannt sind. Man möge sich nur vorstellen, ein Mann mit dem Naturell und den Intentionen eines Donald Trump könnte, von einem Volksvotum getragen, ins Schloss Bellevue einziehen, während vernünftige Leute wie Angela Merkel oder Martin Schulz zu regieren versuchen.

Steinmeier ist ziemlich das Gegenteil von Trump: bedächtig, erfahren, diplomatisch, ein Musterbild an Seriosität. Er verfügt über staatsmännisches Format, versteht, wovon er spricht, hat sich in langen Jahren als Außenminister weltweit einen guten Ruf erworben. Dass er als Architekt der ehrgeizigsten Sozialreform seit Langem gilt, die manche Härten hatte, Deutschland aber zu Vollbeschäftigung verhalf, werden ihm nur einige Linke zum Vorwurf machen. Nun soll also just jener Politiker die Republik repräsentieren, mit dem die Bürger am zufriedensten sind. Das macht ihn fast zum idealen Kandidaten.

Steinmeier ist ein Anti-Trump

Gewiss, geschliffene Reden zählen nicht zu Steinmeiers Talenten. Ein Präsident ist auf die Macht seiner Worte angewiesen. Doch es geht hier nicht um einen Rhetorik-Preis. Der Bundespräsident muss Orientierung vermitteln. Er ist als Welterklärer gefragt, nicht als Weltverstörer, als der sich sein Amtskollege in Washington gebärdet. Die wachsende Hysterie im politischen Betrieb verlangt nicht nach den einfachen, allzu billigen Antworten – mithin: nach einem Anti-Trump. Diese Rolle ist Steinmeier sehr wohl zuzutrauen.

Die Wahl am Sonntag ist gleichwohl mit einem Makel behaftet. Sie ist das Ergebnis einer großen Kungelei. Gemessen an den Machtverhältnissen in der Bundesversammlung tritt der Präsident in spe gewissermaßen konkurrenzlos an. Steinmeiers Kür fand in den Hinterzimmern der großen Koalition statt. Für Politikverdrossene erscheint das wie ein Zerrbild von Demokratie. Diese Art der Rekrutierung staatlichen Spitzenpersonals passt nicht in eine Zeit, in der eine wachsende Minderheit ohnehin misstrauisch auf die politische Bühne blickt. Solche Vorbehalte sind so oder so die größte Herausforderung für den künftigen Bundespräsidenten.

Die Kanzlerinnendämmerung hat nicht erst mit Martin Schulz begonnen

Während dieser Sonntag ein Feiertag für die SPD zu werden verspricht, ist Steinmeiers Aufstieg zum Präsidenten eine Schmach für Merkel – auch wenn sie den Sozialdemokraten persönlich schätzt. Wer seit zwölf Jahren regiert, in der Bundesversammlung die meisten Delegierten stellt, einer Organisation vorsteht, die sich als eigentliche Staatspartei begreift, und keinen eigenen Kandidaten zu präsentieren vermag, der muss sich nicht wundern, wenn Zweifel an der Führungskraft aufkommen. Die Kanzlerinnendämmerung hat nicht erst mit Martin Schulz begonnen.