Im Februar 1943 stehen die Nazis kurz davor, eine Atombombe zu bauen. Doch Widerstandskämpfer aus Norwegen verhindern dies durch eine spektakuläre Mission.

Die Fabrik, die Claus Helberg und seine acht Kameraden in wenigen Minuten stürmen werden, gleicht einer Festung: In eine Bergflanke am Rand des norwegischen Hochlands gemauert, thront sie über einem schmalen Flusstal, die einzige Straße führt über eine von Wehrmachtsoldaten bewachte Hängebrücke. Trotz Schnee und Eis ist es den Widerstandskämpfern in jenem Februar 1943 gelungen, sich der Anlage bis auf etwa 100 Meter zu nähern.

 

Ihr Auftrag lautet, in die Fabrik Vemork einzudringen, um 18 mannshohe Zylinder mit schwerem Wasser zu zerstören – einem irrwitzig raren Stoff, nach dem die deutschen Besatzer gieren. Bevor sich der Trupp aufteilt, hält ihr Anführer eine kurze Ansprache. Am Ende fasst er zusammen, was die neun Freiwilligen am dringendsten brauchen: „Viel Glück!“

Den Bau der Atombombe verhindern

Der Zweck der Mission lautet, Deutschland am Bau der Atombombe zu hindern. Und ihr Verlauf ist derart abenteuerlich, dass er aus dem Drehbuch eines Agentenfilms stammen könnte. Umso erstaunlicher, dass die sogenannte Schwerwassersabotage – obwohl sie in Büchern und Filmen verarbeitet wurde, zuletzt 2015 in der Serie „Saboteure im Eis“ – in Deutschland kaum bekannt ist.

Im Februar 1943 hatte die Wehrmacht die Schlacht um Stalingrad verloren, auch in Nordafrika rückten die Alliierten vor. Der Krieg war für Deutschland kaum noch zu gewinnen. Es sei denn, so die Hoffnung im Heereswaffenamt, den Kernphysikern um Nobelpreisträger Werner Heisenberg gelänge es, eine Technik zu beherrschen, die sämtliche Niederlagen aufwiegen könnte: Die Forscher standen kurz davor, einen Atomreaktor zum Laufen zu bringen – den Schlüssel zum Bau einer Bombe von nie da gewesener Zerstörungskraft.

Um die Kernspaltung auszulösen, brauchten sie allerdings mehrere Tonnen schweres Wasser. Der kostbare Stoff hat eine geringfügig höhere Masse als gewöhnliches Wasser und muss aufwendig per Elektrolyse gewonnen werden.

Schweres Wasser

Im Frühjahr 1940 hatte Deutschland Dänemark und Norwegen besetzt – vor allem, um die Kontrolle über Ost- und Nordsee zu sichern. Der Angriff hatte aber auch einen Nebeneffekt: Mit der Fabrik Vemork, 125 Kilometer westlich von Oslo, kontrollierten die Nationalsozialisten nun die weltweit einzige Anlage, die genug schweres Wasser für einen Atomreaktor produzieren konnte.

Im Sommer 1941 erfährt die britische Special Operations Executive (SOE), eine Art Geheimdienst für Sabotage, dass die Deutschen die Schwerwassergewinnung in Vemork drastisch hochgefahren haben. Die westlichen Alliierten fürchteten, ihr Gegner könne die Bombe noch vor Kriegsende bauen – auch wenn Deutschland dazu wohl nicht in der Lage war – und so begann die SOE, einen chirurgischen Eingriff vorzubereiten: Britische Spezialeinheiten sollten einfliegen und die Fabrik zerstören. Vorab würde ein Trupp des norwegischen Widerstands einen geeigneten Landeplatz auskundschaften.

Die Operation endet im Desaster

Unter den Männern, die für die Vorhut ausgewählt wurden, war auch Helberg, ein großer, dunkelhaariger Unteroffizier, 25 Jahre alt, der nahe Vemork aufgewachsen war. Nach Monaten der Planung bestiegen die vier Norweger in einer Oktobernacht 1942 ein britisches Militärflugzeug. Gegen 23.30 Uhr sprangen sie mit Fallschirmen ab. Doch die Operation endete in einem Desaster: Als die britischen Soldaten etwa einen Monat später einflogen, verloren sie in einem Herbststurm die Orientierung. Die wenigen Überlebenden wurden von deutschen Truppen exekutiert.

Helberg und seine Kameraden blieben allein zurück, vor sich den harten Winter. Sie brachen in entlegene Hütten ein, rationierten ihre Nahrung auf eine Handvoll Haferflocken und ein wenig Trockenfleisch am Tag. Gelegentlich nahmen sie über das Funkgerät Kontakt mit der SOE auf. Doch mehr als Durchhalteparolen hatten die Briten nicht zu bieten.

Kurz vor Weihnachten, bei dichtem Nebel, schleppte sich einer der Männer mit seinem Gewehr hinaus – in der Hoffnung, die Witterung werde das Wild aus den Bergen treiben. Und tatsächlich schoss er ein Rentier, das erste von elf. Auch von der anderen Seite der Nordsee kam Grund zur Hoffnung: Ein neues Kommando würde einfliegen, funkten die Engländer. In einer minus 34 Grad kalten Nacht sprangen sechs von der SOE trainierte Norweger ab; tags darauf trafen sie auf den Trupp um Helberg.

Waffen, Ski und Sprengstoff

Am Abend des 27. Februar 1943 machten sie sich bereit, packten Waffen, Ski und Sprengstoff zusammen. Nur der Funker blieb zurück. Der ortskundige Helberg wusste einen Weg, der es den Männern ersparte, die Hängebrücke zu stürmen: Sie kletterten in die Schlucht hinab, überquerten den gefrorenen Fluss. Nach über einer halben Stunde hatten sie die 100 Meter hohe, vereiste Bergwand erklommen.

Ein Trupp, zu dem Helberg gehörte, überwachte das Gelände; ein anderer schlich zu dem Gebäude, in dem das schwere Wasser lagerte. Dort entdeckten sie einen Kabeltunnel, den einzigen unverriegelten Zugang. Die Explosion war dermaßen gedämpft, dass die Deutschen sie nicht einmal bemerkten.

Erst als die Saboteure in die Schlucht hinabkletterten, ertönten Warnsirenen – der Vorsprung rettete ihnen wohl das Leben. Im Schutz der Dunkelheit stiegen die Männer zurück ins Hochland. Die meisten fuhren auf Skiern in einem 600 Kilometer weiten Bogen ins neutrale Schweden. Helberg schlug sich allein nach Oslo durch.

Nach dem Krieg wurde der Coup zu einem norwegischen Mythos, einem Spiegel der Kriegszeit: So wie das kleine Norwegen der Großmacht Deutschland gegenüberstand, so traten die Saboteure an, eine schwer bewachte Fabrik der Besatzer zu zerstören.

Doch während die norwegische Armee dem Angriff im April 1940 wenig entgegenzusetzen hatte, war den Saboteuren ihr halsbrecherischer Plan geglückt – und zwar auf eine Weise, die selten ist im Krieg: Sie zerstörten mit militärischen Mitteln ein militärisches Ziel – ohne einen einzigen Menschen auch nur zu verletzen.