Julian Assange sitzt in einem britischen Gefängnis, in die USA wird er erst einmal nicht ausgeliefert. Was wird ihm dort vorgeworfen? Fragen und Antworten zu dem Fall.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Der Name Julian Assange geistert immer mal wieder durch die Medien. In dieser Woche ist das Konterfeit des 52-Jährigen wieder auf vielen Nachrichtenseiten zu sehen. Der Grund: Nach knapp fünf Jahren in britischer Haft wurde in London entschieden, ob er in die USA ausgeliefert werden soll.

 

Dort droht ihm eine Haft von bis zu 175 Jahren – faktisch wäre das lebenslänglich. Menschenrechtler hatten in der Vergangenheit bereits häufiger „erhebliche Sorgen“ geäußert, dass er im Fall einer Auslieferung der Gefahr von Folter oder anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt wäre.

Was hat das Gericht entschieden?

An diesem Dienstag entschied nun ein Gericht, dass der Wikileaks-Gründer vorerst nicht an die USA ausgeliefert wird. Der britische High Court in London befand, Assange dürfe gegen die Entscheidung Großbritanniens zur Auslieferung in Berufung gehen, sofern die USA keine ausreichenden Versicherungen für einen rechtsstaatlichen Prozesss gegen ihn abgeben würden.

Am 20. Mai will der High Court endgültig darüber befinden, ob mögliche Versicherungen der US-Seite ausreichend sind oder ob er die Berufung erlaubt. „Mr. Assange wird deshalb nicht sofort ausgeliefert“, hieß es in der schriftlichen Stellungnahme des Gerichts. Der High Court befand, dass Assange in drei von neun Punkten bei einer Berufung eine reelle Aussicht auf Erfolg habe. Die USA sollen nun binnen drei Wochen unter anderem eine Versicherung abgeben, dass der Prozess gegen Assange in den USA das Recht auf freie Meinungsäußerung respektiere und die Todesstrafe nicht angewendet würde. Dabei bezogen sich die Richter auf den ersten Verfassungszusatz der USA (Amendment), der die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert.

Was ist Wikileaks?

Die USA wollen den Australier wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente und Verstößen gegen das Anti-Spionage-Gesetz vor Gericht stellen. Assange hatte Wikileaks gegründet, 2009 wurde die Onlineplattform einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als dort hunderttausende Nachrichten von Funkmeldeempfängern, sogenannten Pagern, veröffentlicht wurden. Die Nachrichten wurden am Tag der Terroranschläge vom 11. September 2001 verschickt.

Ab November 2010 publizierte die Plattform mithilfe großer internationaler Medienhäuser – darunter der „Spiegel“ aus Deutschland – mehr als 250.000 als geheim eingestufte Dokumente. Der Leak wurde später als „Cablegate“ bekannt und legte die Aktivitäten der USA in den Kriegen in Afghanistan und im Irak teilweise offen. Dabei ging es auch um die Tötung von Zivilisten und die Misshandlung von Gefangenen.

Mit der Veröffentlichung wurde Assange zum Staatsfeind der USA. Insgesamt veröffentlichte Wikileaks nach eigenen Angaben mehr als zehn Millionen Dokumente in den Bereichen Politik, Finanzen und Unterhaltung.

Was hat Russland mit dem Fall zu tun?

Zu Beginn richteten sich die Wikileaks-Veröffentlichungen gegen repressive Regierungen in Asien. Auch Länder der ehemaligen Sowjetunion, afrikanische Staaten und Regierungen im Nahen Osten gerieten ins Visier der Plattform. Die meisten Enthüllungen betrafen jedoch die USA - und nutzten Russland strategisch aus.

Ein Beispiel sind die vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016 veröffentlichten E-Mails aus dem Parteiapparat der US-Demokraten, die von Russland gehackt worden sein könnten. Wikileaks wurde auch vorgeworfen, im Namen der Transparenz Personen zu gefährden, deren Identität die Plattform in den veröffentlichten Dokumenten preisgab. Im Laufe der Jahre haben sich daher mehrere Medien und Prominente von Wikileaks distanziert.

Wie wird Assange wahrgenommen?

An Assange scheiden sich bis heute die Geister. Für die einen ist er ein verfolgter Kämpfer für Informationsfreiheit – für die anderen ein Manipulator und Straftäter. Dass seit 2010 die schwedische Staatsanwaltschaft wegen Vergewaltigung und sexueller Gewalt gegen zwei Frauen gegen Assange ermittelte, tat ein Übriges.  Zwei Jahre später floh er in die Botschaft Ecuadors in London und beantragte erfolgreich politisches Asyl. Assange verbrachte insgesamt sieben Jahre in der Botschaft, sein Gesundheitszustand verschlechterte sich in dieser Zeit zusehends.

Assanges Frau Stella sagte vor der Verhandlung, dass die körperliche und geistige Gesundheit ihres Mannes sich zuletzt wieder verschlechtert habe, mit jedem Tag im Gefängnis sei sein Leben bedroht. Sollte er mit seinem Einspruch endgültig scheitern, könne er „binnen weniger Tage“ in einem Flugzeug in Richtung USA sitzen.

2017 stellt die schwedische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Assange ein, ihm droht wegen der Veröffentlichung der geheimen Dokumente aber weiter die Auslieferung aus Großbritannien an die Vereinigten Staaten. Bei der Anhörung in dieser Woche soll final geklärt werden, ob in dem Fall in Großbritannien alle Rechtsmittel für den Wikileaks-Gründer gegen seine Auslieferung in die USA ausgeschöpft sind – oder ob er weiter vor britischen Gerichten dagegen vorgehen darf.

Was hat Chelsea Manning mit dem Fall Assange zu tun?

Ohne die ehemalige US-Militärangehörige Chelsea Manning wäre „Cablegate“ nicht möglich gewesen: Sie leitete mehr als 700.000 als geheim eingestufte Dokumente an Wikileaks weiter. Im Jahr 2013 wurde sie dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt, später dank US-Präsident Barack Obama freigelassen. Da sie sich weigerte, in den Ermittlungen zu Wikileaks auszusagen, wurde sie vorübergehend in Beugehaft genommen.

Fall liefert Stoff für Hollywood

Der Hollywood-Film „Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt“ des Regisseurs Bill Condon griff die Geschichte der Plattform im Jahr 2013 auf. Auch die Dokumentation „Risk“ der Filmemacherin Laura Poitras dreht sich um die Geschichte von Wikileaks. Assange tauchte auch in einer Folge der US-Fernsehserie „Simpsons“ auf. Er diente außerdem als Vorbild für die Figur des Polemix im 36. Asterix-Comicband „Das Papyrus des Cäsar“.