Wenn im Frühling die Natur erwacht, kommt es gehäuft zu Wildunfällen. Besonders morgens und abends ist Vorsicht geboten. Wir erklären, warum.

Die Tage werden länger und wärmer, die Wiesen erblühen, und in den Bäumen fiepen die ersten Vogelküken. Eine Schattenseite des Frühlings ist die erhöhte Gefahr von Wildunfällen. Jedes fünfte Reh wird nicht vom Jäger erlegt, sondern stirbt auf der Straße. Durch mehr Verkehr und frei laufende Hunde hat das Problem in den vergangenen Jahren sogar noch zugenommen, sagt Kreisjägermeister Bodo Sigloch von der Kreisjägervereinigung Leonberg.

 

Die Futtersuche beginnt

Rehe sind bei uns am häufigsten von behördlich erfassten Wildunfällen betroffen. Deutlich seltener geht es um Wildschweine. Doch warum zieht es die Tiere jetzt auf die Straße? „Im Winter läuft der Stoffwechsel des Wildes auf Sparflamme, es geht nur um reine Erhaltung“, erklärt Bodo Sigloch. Aus diesem Grund seien Störungen im Winter auch so fatal für Wildtiere. „Mit einsetzender längerer Tageszeit springt der Stoffwechsel wieder stark an.“

Die im Herbst angefutterten Fettreserven bei den Rehen zum Beispiel sind jetzt aufgebraucht. Gleichzeitig benötigen die werdenden Tiermütter energiereiche Nahrung – im Mai und Juni kommt der Nachwuchs beim Reh- und Rotwild zur Welt. Bei den Rehböcken bildet sich der Kopfschmuck, sie stecken ihre Territorien ab und verteidigen sie gegenüber anderen Artgenossen. Das alles erfordert Energie. „Das frische Grün auf den Wiesen und Getreidesaaten lockt deshalb die Tiere hinaus aufs Feld, wobei sie häufig Straßen überqueren müssen“, erklärt Bodo Sigloch.

Morgens und abends wird’s gefährlich

In der freien Flur finden die Tiere zu dieser Jahreszeit noch keine Deckung. Sie ziehen daher in der Abenddämmerung hinaus auf die Felder und in der Morgendämmerung wieder „nach Hause“ in ihre Einstände, wo sie tagsüber Deckung und Schutz finden. Morgens und abends sollten Autofahrer also besonders wachsam sein.

Die Zeitumstellung ist für Tiere fatal

Der Wechsel von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt stellt ein großes Problem für die Wildtiere dar. „Im Frühjahr, bei der Umstellung auf die Sommerzeit, fällt schlagartig von heute auf morgen die Hauptverkehrszeit in die Dämmerung“, erklärt Bodo Sigloch. „Und bei der Umstellung auf die Winterzeit passiert nochmals das Gleiche.“ Dadurch steigt die Gefahr von Unfällen in dem Zeitraum gewaltig an, laut Unfallstatistik um 20 Prozent.

Im Sommer wird es ruhiger

„Ab etwa Mitte Juni bietet die zunehmend hohe Vegetation auf den Feldern und Wiesen so viel Deckung, dass viele Wildtiere, vor allem die Rehe, auch tagsüber in den Feldern bleiben und somit die Häufigkeit der Querung von Straßen nachlässt“, erklärt Bodo Sigloch. Im Herbst, wenn die Felder abgeerntet werden und dadurch die Deckung abnimmt, wechselt das Wild wieder regelmäßig zwischen Feld und Wald hin und her.

Mehr Verkehr, mehr Hunde, mehr Unfälle

„Die Wildunfälle haben tendenziell eher zugenommen“, sagt Bodo Sigloch. Zum einen liege das am deutlich höheren Verkehrsaufkommen, wobei die Coronajahre 2020 und 2021 zum Teil für etwas Entspannung gesorgt haben. Zum anderen nehmen nach seiner Erfahrung die Autofahrer insgesamt weniger Rücksicht. „Wildwechselschilder werden gefühlt einfach ignoriert, und der Zustand verunfallter Rehe lässt auf eine hohe Geschwindigkeit beim Aufprall schließen.“

Hinzu komme aktuell noch ein weiteres Phänomen, nämlich frei laufende, von den Besitzern nicht kontrollierte Hunde, die „zu kopflosen Fluchten führen, besonders bei Rehen, und so zu unverhofft auftauchendem Wild auf der Straße“. Auch das ist eine Folge der Coronapandemie, als sich während Kurzarbeit und Homeoffice immer mehr Menschen einen Hund angeschafft haben. Jetzt, da wieder mehr in Präsenz gearbeitet wird, sind die Halter mit den Hunden vor allem in den frühen Morgenstunden und abends unterwegs. „Häufig sind diese Hunde nicht ausgelastet und deshalb von den Besitzern fast nicht händelbar.“

Erst vor Kurzem habe er das selbst erlebt. Nachdem er einen Hundebesitzer wegen seines jagenden Hundes angesprochen hatte, war die Reaktion: „,Wenn ich den nicht laufen lasse, wird der blöde, das geht nicht. Außerdem fängt der höchstens Hasen, das kann er‘“, schildert der Kreisjägermeister. „Hier ist jeglicher Kommentar überflüssig“, findet er. „Der Hund kann für den Besitzer nichts, aber den Wildtieren nützt das leider überhaupt nichts.“