Mehr als 500 Stellen sollen bei der WMF-Zentrale wegfallen. In Geislingen wächst die Wut. Und die ganze Stadt fürchtet um ihre Zukunft.

Region: Corinna Meinke (com)

Geislingen - „Wenn die WMF so viele Stellen streicht wie geplant, wird Geislingen zu einer Geisterstadt, denn wer soll noch einkaufen, wenn wir keine Arbeit mehr haben?“ Die drei Kolleginnen aus der von der Schließung bedrohten Galvanikabteilung des Geislinger Unternehmens sind sich einig, dass der vorgesehene Personalabbau der noch 27 000 Einwohner zählenden Industriestadt schaden wird. Mehr als 500 Arbeitsplätze sollen nach dem Willen des neuen WMF-Vorstandschefs Peter Feld allein in Geislingen wegfallen, um 30 Millionen Euro pro Jahr zu sparen. Nur so könne man am globalen Markt bestehen, meint Feld.

 

Größter Stellenabbau in 150 Jahren

Seit Wochen stemmen sich die Beschäftigten gegen den in der 160-jährigen Geschichte des Traditionsunternehmens einmaligen Kahlschlag. Mitglieder des Betriebsrats bezeichnen die Beteiligungsgesellschaft Kohlberg Kravis Roberts (KKR), den US-Mehrheitsaktionär der WMF, deshalb auch als Heuschrecke.

Wut und Verzweiflung liegen bei den WMFlern nah beieinander, denn für die Belegschaft ist nicht nachvollziehbar, warum angesichts voller Auftragsbücher auf einmal der Rotstift angesetzt wird. Dem Unternehmen gehe es gut, es stehe auf einer soliden finanziellen Basis, haben die Redner des Vorstands bei der jüngsten Hauptversammlung der Aktionäre in der Stuttgarter Liederhalle unermüdlich betont.

Ganze Familien plagen Zukunftssorgen

„Ich habe Angst vor dem, was kommt“, bringt eine WMFlerin ihre Zukunftssorgen auf den Punkt. Sie ist Mitte 50 und sieht für sich keine Alternativen auf dem schwierigen Geislinger Arbeitsmarkt. Gleichzeitig fürchtet die Fachkraft aus der Galvanik die Abschläge bei der Altersrente, sollte sie jetzt wertvolle Beitragsjahre verlieren. „Von Arbeitslosengeld und später von Hartz IV kann ich mir nichts mehr für das Alter auf die Seite legen“, klagt sie. Ihr Mann hat erst vor Monaten bei der WMF angefangen und nur einen Zeitarbeitsvertrag erhalten, sie haben einen Sohn. Es ist typisch für die WMF, dass viele Mitarbeiter dem Betrieb seit Jahrzehnten treu sind und das oft bereits in der dritten oder vierten Generation.

Sorgen wegen der sozialen Folgen für die Einzelnen und seine Heimatstadt macht sich auch der freigestellte WMF-Betriebsrat Jürgen Peters. Wenn, wie angekündigt, die WMF-Logistiktochter Prolog in Geislingen geschlossen werde, stünden dort allein 250 Mitarbeiter auf der Straße, darunter viele Menschen aus den unteren Einkommensgruppen, sagt der SPD-Stadtrat. Damit drohen den öffentlichen Kassen weitere Lasten. Schon heute trägt das „arme Geislingen“ beim Vergleich des gesamten Steueraufkommens der Großen Kreisstädte in Baden-Württemberg die rote Laterne, und dieser letzte Platz bei der Wirtschaftskraft hat Tradition.

Und dann geht auch noch die Betriebsratschefin

Mit rund 2000 Arbeitsplätzen in verschiedenen Tochterunternehmen verfügt der Geislinger WMF-Stammsitz nach wie vor über einen großen Anteil der Stellen des aktiengeführten Unternehmens. Weitere Produktionsstätten befinden sich in Riedlingen bei Ulm, Diez an der Lahn, in Tschechien, in der Schweiz und in China. In den 70er Jahren hatten noch fast 5000 Personen in Geislingen bei der WMF in Lohn und Brot gestanden. Der wegen des überraschenden Rücktritts der Betriebsratsvorsitzenden Martina Ende in die Bresche gesprungene Manfred Schneider fordert Investitionen in den boomenden Kaffeemaschinensektor, wo die Belegschaft hohe Überstundenzahlen vor sich her schiebe. Die Produktionsanlagen müssten dringend modernisiert werden, forderte Schneider, der dort alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Mitarbeiter aus Galvanik und Logistik sieht.

Diese Mitarbeiter sollten nach Schneiders Meinung außerdem dort unterkommen, wo bei der WMF durch freiwillige Aufhebungsverträge Stellen frei würden. Eine Verlagerung der Logistiker nach Dornstadt ist für den neuen Betriebsratsvorsitzenden nur machbar, wenn dort tarifgebundene Arbeitsplätze entstehen.