Der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) macht sich beim Redaktionsbesuch bei der Stuttgarter Zeitung dafür stark, dass die Krankenkassen ihre Versicherten an der guten Finanzsituation teil haben lassen.

Stuttgart - Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) ist überzeugt davon, dass viel mehr bei einer gesetzlichen Krankenkasse Versicherte von Prämienzahlungen profitieren könnten, als das jetzt der Fall ist. „Überall dort, wo Potenzial dafür ist, müssen die Kassen Geld an die Versicherten zurück geben,“ sagte der Minister bei einem Redaktionsbesuch bei der Stuttgarter Zeitung. Acht oder neun Millionen Deutsche haben bereits von ihrer Kasse eine Prämienzahlung erhalten. Derzeit stünden etliche Kassen vor der Entscheidung, ob sie weiterhin solche Prämien auszahlen. „Ich fordere dazu auf,“ sagte der Gesundheitsminister. „Es ist das Geld der Versicherten; das steht ihnen zu.“ Bahr schätzt, dass deutlich mehr als acht Millionen Versicherte von der guten Finanzausstattung der meisten Kassen Vorteile ziehen könnten. „Auf über zehn Millionen könnten wir kommen.“

 

Ursache sind die Milliarden schweren Finanzpolster, die sich bei den Krankenversicherungen mit der Zeit angesammelt haben. „Wir waren ja ganz froh, dass sich die Finanzlage entspannt hat,“ sagte Bahr. „Zu Beginn der Legislaturperiode haben wir die größten Defizite vorgefunden.“ Das Finanzpolster werde freilich nicht ewig bleiben. „Die demografische Entwicklung wird in den kommenden Jahren zu steigenden Ausgaben der Krankenkassen führen“, glaubt Bahr. „Die Konjunktur ist auch nicht immer so gut.“

Ärger über die Selbstverwaltung

Nicht zufrieden ist der Gesundheitsminister mit einer anderen Baustelle im Gesundheitswesen: „Ich ärgere mich manches Mal über die Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern.“ Hintergrund ist, dass zu viel operiert wird. So stiegen die Eingriffe von 2005 bis 2011 von 12,1 auf 15,4 Millionen.Die Zahl der Wirbelsäulen-Eingriffe etwa hat sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt. Die Zahlen könnten sich nicht allein aus demografischen Faktoren erklären, also dem Umstand, dass die Gesellschaft älter und deswegen auch behandlungsbedürftiger wird, zeigt sich Bahr überzeugt. „Es gibt offenbar Fehlanreize im System,“ urteilt der Minister. Man sei schon tätig geworden um gegenzusteuern, schiebt er nach. „Wir haben den Krankenhäusern zusätzlich eine Milliarde zur Verfügung gestellt.“ Das Geld soll zum Beispiel verhindern, dass die rege und womöglich auch von eigenen ökonomischen Interessen beeinflusste Operationstätigkeit eines Krankenhauses die Möglichkeiten einer anderen Klinik begrenzt, die sich solcher Methoden nicht bedient oder nicht bedienen kann. Mit der Milliarde aus Berlin ist der Gesamthonorartopf vergrößert worden. So soll auch noch Geld für das kleinere Krankenhaus übrig bleiben, das sich um weniger ertragreiche Blinddärme kümmern muss. Über diese finanzielle Maßnahme hinaus habe man „einen Forschungsauftrag ins Gesetz geschrieben, genauer zu analysieren, woher die steigenden Fallzahlen kommen“ und wie Anreize besser gesetzt werden können. „Ein Krankenhaus, das gut arbeitet, soll ja auch mehr operieren,“ meint Bahr.

Lob für Selektivverträge

Bis Juni hatte man sich erste Rückschlüsse erhofft. Doch Krankenhäuser und Krankenkassen „haben leider erst im Juni die Forschung beauftragt“ – und sich deshalb den Zorn des Ministers wegen der schleppender Bearbeitung der Angelegenheit zugezogen. „Das wäre eine wichtige Analyse“, so Bahr. „Ich möchte, dass die Vergütung der Krankenhäuser nach der Qualität geht.“ Auch dafür müsse man aber Indikatoren entwickeln, an denen auch für Patienten erkennbar wird, ob ein Krankenhaus besser ist als ein anderes.

Durchaus freundlich gesinnt gibt sich der Gesundheitsminister gegenüber einer in Baden-Württemberg besonders innig gepflegten gesundheitspolitischen Spielart. Auf Betreiben der Südwest-AOK, des Ärztebundes Medi und dem Hausärzteverband gibt es im Südwesten immer mehr einzelne Fachgebiete umfassende Vereinbarungen zwischen der Krankenkasse und den Medizinern. Darin bauen diese – parallel zum klassischen System der kassenärztlichen Vereinigungen – eine neue Versorgungswelt. Bahr hält das für keine schlechte Sache: „Das ist eine gute Versorgungsalternative; ich möchte aber nicht, dass das ein Zwang ist.“ Sowohl die Versicherten als auch die Mediziner sollten sich frei entscheiden können, ob sie sich diesem Versorgungsmodell anschließen wollen oder nicht, fordert der Liberale. Der in Baden-Württemberg als erstes betriebene Hausarztvertrag setze auf einer Gesetzesgrundlage auf, die so nicht mehr gelte.

In der großen Koalition habe die CSU Änderungen durchgesetzt, die genau solche Zwangsmomente enthalten. „Ich bin sehr offen dafür, wenn wir zu einer Regelung zurückkommen, die zu einem Vertrag wie im Südwesten geführt hat,“ erklärt Bahr. „Baden-Württemberg zeigt, wie’s funktioniert.“ Man werde darüber beraten, „ob die Gesetzesänderung so bleiben kann, wie sie jetzt ist“.