Junge Erwachsene grölen in einem Nobel-Lokal auf Sylt zu einem Party-Hit rassistische Parolen. Ein Video davon geht im Netz viral und löst bundesweit Empörung aus. Eine Rechtsextremismus-Expertin erläutert, was das mit Betroffenen macht und warum der Vorfall besorgniserregend ist.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Das Sylt-Video mit rassistischen Parolen zeigt aus Sicht der Politik-Expertin Pia Lamberty eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. „Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen“, sagt die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht. „Menschen können ohne Scheu in der Öffentlichkeit extreme Parolen äußern.“

 

Vorfall sorgt bundesweit für Empörung

Der rassistische Vorfall an Pfingsten in einem Nobel-Lokal auf Sylt hat bundesweit Empörung ausgelöst. In dem kurzen Video, das in sozialen Medien verbreitet wurde, grölen junge Erwachsene zum Party-Hit „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“. Mittlerweile ermittelt der Staatsschutz.

Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden – etwa in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und neuerdings in Niedersachsen

Gigi D’Agostino: „L’amour toujours“ ist nur ein Liebeslied

Der italienische DJ Gigi D’Agostino hat inzwischen klargestellt, dass es in seinem Song ausschließlich um Liebe geht. „In meinem Lied ‚L’amour toujours‘ geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet. Es ist die Kraft der Liebe, die mich hochleben lässt“, teilte D’Agostino am Samstag (25. Mai) mit.

Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins. Aus diesem Grund habe er seinem Lied den Titel „L’amour toujours“ gegeben - zu Deutsch: „Liebe immer“. „Das ist die einzige Bedeutung, die mein Lied hat“, so D’Agostino.

Liebeslied für Rassismus-Parolen missbraucht

Der Song „L’amour toujours“ sei mittlerweile immer mehr mit den rassistischen Parolen verknüpft, erklärt Pia Lamberty. „Das macht ja auch was im Gehirn.“ So schafften Rechtsextreme eine Akzeptanz solcher Parolen in der breiten Gesellschaft.

Für die Cemas-Expertin verdeutlicht der Fall: „Rechtsextremismus ist nicht nur ein Problem, das man in Ostdeutschland sieht oder bei Menschen, die ein geringeres Einkommen haben, sondern auch bei höheren Schichten.“

Rassismus in allen Bevölkerungsschichten anzutreffen

Das Bedrohliche für Betroffene sei vor allem die strukturelle Macht, die diese Personen potenziell einmal ausüben könnten, betont Pia Lamberty. Das Video zeige: „Rassismus geht auch von Menschen aus, die an Universitäten studiert haben oder in Managementpositionen stehen.“ Rechtsextremismus und rassistische Einstellungen seien etwas, was man in der gesamten Gesellschaft finde.

Von Rassismus Betroffene könnten nach Lambertys Ansicht Orte, an denen wie im aktuellen Fall unwidersprochen rassistische Äußerungen getätigt werden, langfristig meiden.

Info: Rasse, Rassismus

Begriff Rasse im Grundgesetz
In Artikel 3 des Grundgesetzes steht er noch – der Begriff Rasse: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Nach Aussage des Verfassungshistorikers Michael F. Feldkamp wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes damit vor 75 Jahren deutlich machen: Das Grundgesetz bleibt nicht auf die Deutschen beschränkt, sondern meint alle Menschen.

Begriff wissenschaftlich widerlegt
„Der Begriff der Rasse ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt: Es gibt keine Rassen“, erklärt der Staatsrechtler Alexander Thiele. „Aber der Rassebegriff im Grundgesetz war zunächst einmal eine Reaktion auf den Rassenwahn der Nationalsozialisten und findet sich vor diesem Hintergrund nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in internationalen Grundrechtsverbürgungen, etwa der Europäischen Menschenrechtskonvention.“

Begriff mit verhängnisvoller Geschichte
Der Begriff Rasse hat in Europa eine wechselvolle und teils verhängnisvolle Geschichte. Ein Überblick:

• Mit der Aufklärung begannen Wissenschaftler, die Natur in Kategorien zu erfassen – Pflanzen, Tiere, aber auch Menschen wurden in Arten, Familien, Gruppen und eben auch Rassen unterteilt.

• Im 17. Jahrhundert benutzte der französische Forscher François Bernier (1620-1688) die Bezeichnung noch synonym zu „espèce“ (Art). Er gilt als der erste Forscher, der die Bezeichnung im Rahmen einer anthropologischen Taxonomie zum Zwecke der Klassifikation von Menschen verwendete.

• In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts tauchte in Reiseberichten das Wort immer häufiger auf, um die Bevölkerung anderer Länder zu beschreiben. Körpermerkmale und Charaktereigenschaften wurden bestimmten „Rassen“ zugeordnet.

• Die Nationalsozialisten übernahmen es dann in ihren Sprachgebrauch, etwa in den Nürnberger „Rassengesetzen“ und dem „Arier-Paragraphen“.

• 1950 hatte die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) darauf hingewiesen, dass „Rasse“ für einen sozialen Mythos stehe, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursacht habe.

• In ihrer „Jenaer Erklärung“ erklärten 2019 Spitzenforscher aus Zoologie und Anthropologie dann, eine solche Einteilung der Menschen – etwa in der Theorie von den drei anthropologischen „Großrassen“ Mongolide, Europide und Negride, die wissenschaftlich längst widerlegt ist – sei eine Typenbildung auf Grundlage willkürlich gewählter Eigenschaften wie Haar- und Hautfarbe. „Diese Argumentation heute noch als angeblich wissenschaftlich zu verwenden, ist falsch und niederträchtig. Es gibt auch keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Intelligenz und geographischer Herkunft, aber einen deutlichen mit sozialer Herkunft“, heißt es in der Stellungnahme. Beim Menschen bestehe der weitaus größte Teil der genetischen Unterschiede nicht zwischen geografischen Bevölkerungsgruppen, sondern innerhalb solcher Gruppen.