Bei Demonstrationen gegen Rechts setzen gerade Menschen in zahlreichen Städten in Deutschland ein Zeichen. Viele Großstädte wie Stuttgart und Ludwigsburg sind darunter. Im „kleinen“ Ditzingen hat der Jugendgemeinderat die Menschen mobilisiert.

Leoni Kükrekol vom Jugendgemeinderat Ditzingen findet bei der Demonstration „Ditzingen bleibt bunt“ klare Worte zum Erstarken der rechten und rechtsradikalen Kräfte in Deutschland: „Ich möchte nicht zu der letzten Generation gehören, die noch mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes aufgewachsen ist.“ Die Würde eines Menschen dürfe nicht von Geschlecht, Nationalität oder anderen Voraussetzungen abhängen, sagt sie und betont: „Wir müssen mehr sein als die, die unser Grundgesetz aushöhlen wollen.“

 

Überall in Deutschland kommen seit einigen Wochen zahlreiche Menschen zu Demonstrationen zusammen, um für Demokratie und Vielfalt einzustehen und sich gegen Hass und Ausgrenzung zu positionieren. Anlass für diese Aktionen sind die Recherchen des Medienhauses Correctiv, wonach unter anderem hochrangige AfD-Politiker und bekannte Neonazis in Potsdam über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland diskutiert haben. „Was da aufgedeckt wurde, hat uns tief erschüttert“, sagt Leoni Kükrekol. „Denn der Jugendgemeinderat ist bunt“, die Mitglieder haben Wurzeln in unterschiedlichen Nationen. „Und ich finde es wichtig, dass nicht nur in großen Städten dafür eingestanden wird, sondern auch bei uns“, ergänzt Denise Yügrük. Aus diesem Grund hat der JGR eigenständig eine Demonstration auf die Beine gestellt – und das innerhalb weniger Tage.

Zahlreiche Demonstranten versammeln sich auf dem Rathausplatz

Besonders freuen sich die Jugendlichen über die große Resonanz und die vielen Rednerinnen und Redner, die sich beteiligt haben. Angemeldet war die Demonstration mit 400 Personen. Die Polizei schätzt die Anzahl auf etwa 500, die Veranstalter kamen bei Zählungen auf dem Rathausplatz auf rund 900. Neben dem Oberbürgermeister Michael Makurath, Herbert Kühn vom Arbeitskreis Asyl und dem Ditzinger Zeitzeugen Joachim Grawe stellten sich auch Vertreter aus sämtlichen Parteien und Gruppen aus dem Gemeinderat ans Mikrofon, um sich gegen den Rechtsruck in Deutschland zu positionieren.

Joachim Grawe hat den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leib erfahren. Seine Patentante war geborene Jüdin und entkam nur durch Zufall der Deportation nach Auschwitz. Ihre Mutter und zwei Schwestern wurden dort von den Nazis ermordet. Nach dem Krieg wurde er selbst zum Flüchtling, vertrieben aus Pommern.

Zeitzeuge setzt ein deutliches Zeichen

„Wehret den Anfängen, das ist meine erste Lehre aus der Vergangenheit“, erzählt er unter Applaus. Denn bereits in den Dreißigern seien die „Rechtsextremen“, die Nazis, von den moderaten Rechten unterschätzt worden, bis sie bald komplett verdrängt waren. „Auch in der AfD werden die Moderaten nach und nach abserviert.“ Deren jetzige Führung gebe sich nur scheinbar moderat. Doch das Potsdamer Treffen und die „hasserfüllte Rede“ von Alice Weidel zuletzt im Bundestag seien entlarvend. Daran sollten alle sogenannten „Protestwähler“ denken.

Herbert Kühn vom AK Asyl kennt das typische Stammtischgerede derer, die ein Problem mit Flüchtlingen haben: Tolle Wohnungen hätten die alle, während Deutsche keine finden, und sie sollten endlich „was schaffen gehen“. „Ich lade jeden ein, mal vorbeizuschauen in einer Flüchtlingsunterkunft, wie ,toll‘ das da ist“, sagt Herbert Kühn. „Und die meisten wollen arbeiten.“ Doch oft scheitere das an Sprachbarrieren, und der Beruf, den diese Menschen eigentlich gelernt haben, rückt in weite Ferne. Die aktuelle Lage mit randalierenden Jugendgruppen im Strohgäu stellt er nicht in Abrede. Er fordert aber zugleich die richtige Einordnung und den richtigen Umgang damit. Die Pubertät sei für niemanden einfach. Wenn man in seinem bisherigen Leben nur Krieg und Terror gekannt habe, umso weniger.

Makurath: Es darf keine Bürger zweiter Klasse geben

Bei der großen Demonstration in Leonberg vergangene Woche sind die Reden von Politikern teils auf Kritik gestoßen. Der Verein Seebrücke im Kreis Böblingen etwa wendet sich an Vertreter von CDU, FDP und Freien Wählern. In einem Schreiben wirft der Verein ihnen vor, dass sie in ihren Reden, direkt oder indirekt, Migration und Flucht als Ursache für den Rechtsruck brandmarkten und damit vom eigentlichen Problem rechten Gedankenguts ablenkten. In Ditzingen sind solche Tendenzen nicht zu spüren. Kritik an der Bundesregierung wird von einzelnen Ortspolitikern zwar formuliert. Im Fokus aller Beiträge stehen aber der Zusammenhalt und das gemeinsame Einstehen für die Demokratie.

„Demokratie muss Streit aushalten“, formuliert Ditzingens OB Michael Makurath. Aber Hetze, Ausländer- und Judenhass seien nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. „Es gibt keine Bürger erster und zweiter Klasse.“ Dabei nimmt er auch alle Bürgerinnen und Bürger in die Pflicht, wählen zu gehen. Er mahnt: „Diejenigen, über die wir hier reden, hätten kein Problem damit, uns das Wahlrecht zu nehmen.“

Braune Soße nur für Spätzle

Schilderwald
 Die Teilnehmer an der Ditzinger Demo haben ihrer Kreativität freien Lauf gelassen, um ihren Standpunkt deutlich zu machen – mit vielen bunten Schildern und klaren Botschaften. Eine kleine Auswahl: „Braune Soße gehört auf Spätzle und nicht in die Parlamente.“ „Menschenrechte statt rechte Menschen.“ „Hass macht hässlich.“ „AfD = Aus für Demokratie.“ „Hass und Wut tut niemals gut.“ „Vielfalt statt Einfalt.“ „Ditzingen bleibt schön und frei.“

Und sonst?
 Nicht nur die Ditzinger haben am Wochenende demonstriert. Allein in Stuttgart gab es drei Kundgebungen, im näheren Umfeld außerdem in Murrhardt, Sindelfingen und Ludwigsburg.