Am Donnerstag wird beim VfB Stuttgart darüber abgestimmt, ob die Profiabteilung ausgegliedert wird. Ein Blick auf diese wegweisende Entscheidung aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Hier lässt sich eine zeitweise hitzig geführte Debatte zum Abschluss noch einmal gut herunterkühlen. Im angenehm temperierten Atrium der Stuttgarter Volksbank-Zentrale muss die Vereinsführung des VfB Stuttgart nicht auf heißblütige Widersacher gefasst sein. Im Publikum sitzt eine ganze Menge schwäbischer Mittelstand. Ein Heimspiel für den VfB-Präsidenten Wolfgang Dietrich, dessen einziges Problem an diesem Abend sein wird, dass er sich „ohne Krawatte nun doch ein bisschen underdressed“ vorkommt.

 

Die Volksbank hat den VfB-Chef und seine Vorstandskollegen Jochen Röttgermann und Stefan Heim eingeladen, damit die über die Entwicklung des Profifußballs referieren. Aber natürlich geht es unmittelbar vor der Mitgliederversammlung des Erstligaaufsteigers vor allem um eines: um die zur Abstimmung kommende Ausgliederung der VfB-Profiabteilung an diesem Donnerstag. Für die Umwandlung in eine AG werden mindestens 75,1 Prozent Zustimmung benötigt.

Fluch oder Segen

Hans Rudolf Zeisl ist als Vorstandschef der Volksbank Stuttgart Gastgeber der Veranstaltung, die sinnigerweise am Stuttgarter Börsenplatz stattfindet. Zeisl sagt zur Begrüßung etwas, dem weder Befürworter noch Gegner der Ausgliederung widersprechen können. „Man kann die Kommerzialisierung des Fußballs als Fluch oder als Segen betrachten. Aber es ist halt so.“

Fragen und Antworten zur Ausgliederung

In der mittlerweile 30. Wahlkampfveranstaltung präsentiert sich das VfB-Roadshow-Personal, zu dem auch Hansi Müller, Guido Buchwald und Helmut Roleder gehören, als eingespielte Mannschaft. Die Altstars sollen mit ihrer Anwesenheit dafür stehen, dass die Tradition in der neuen Rechtsform nicht verloren geht. Wenn Guido Buchwald davon erzählt, wie er den 4:1-Sieg gegen Würzburg und die anschließende Aufstiegsfeier erlebt hat, hört sich das dann so an: „Ich war mit einem gänsehautmäßigen Feeling dabei.“

Das Beispiel mit dem Daimler-LKW

Für das lockere „Feeling“ im VfB-Werbeteam ist der pfiffige Finanzchef Stefan Heim zuständig, der beim Thema Ausgliederung gerne bunte Bilder wählt. „Stellen Sie sich vor, meine Damen und Herren, auf der Mercedesstraße fährt ein Daimler-Lkw entlang, an Bord 41,5 Millionen Euro. Die entscheidende Frage ist, ob das Geld beim VfB abgeladen oder wieder zurück ins Werk gefahren wird.“ Heim beschreibt mit dem Lkw-Bild das verlockende Angebot. Für 11,75 Prozent der Anteile an einer VfB-AG würde Daimler als strategischer Partner die genannten 41,5 Millionen als Anschubfinanzierung zur Verfügung stellen. Insgesamt will der VfB, der neben Schalke, Mainz und Freiburg nun zu den letzten eingetragenen Vereinen in der ersten Liga gehört, maximal 24,9 Prozent veräußern. Das Geld könnte dann auch schnell eingesetzt werden. Zum einen soll das Nachwuchsleistungszentrum profitieren, das bessere Trainingsmöglichkeiten erhalten würde. Außerdem könnte der Personaletat des Profikaders um 10 Millionen auf 50 Millionen Euro erhöht werden.

Dietrich: Ausgliederung erhöht Chancen auf sportlichen Erfolg

„Ohne Ausgliederung würde der Kader anders aussehen als nach einer Ausgliederung“, sagt Wolfgang Dietrich, der aber nicht die große Drohkulisse aufbauen will: „Der VfB wird auf jeden Fall weiter bestehen. Die Ziele müssten allerdings anders formuliert werden.“ Sollten die Mitglieder den von der Chefetage eingeschlagenen Weg mitgehen, würde dies die Chance enorm erhöhen, sich in der oberen Hälfte der ersten Liga zu etablieren, das stellt der Präsident in Aussicht. Die VfB-Clubführung ist felsenfest überzeugt von ihrer Lösung, das wird bei jeder Veranstaltung deutlich.

Die Chefs gehen unmittelbar vor der Abstimmung aber nicht mehr auf Konfrontationskurs mit den Gegnern der Ausgliederung. Nur der ehemalige Torwart Helmut Roleder, der vor ein paar Jahren auch schon einmal selbst VfB-Präsident werden wollte, spricht von „Ewiggestrigen“, die sich den Anforderungen des modernen Fußballs aus Prinzip verschließen wollten. Lob spricht dagegen Wolfgang Dietrich den Gegnern aus, zumindest „was den zuletzt angenehm sachlichen Ton in der Debatte angeht“. Damit zielt der Präsident auf zwei offene Briefe aus der Ultra-Szene ab, in denen die Fan-Gruppierungen Commando Cannstatt und der Schwabensturm ihre Skepsis gegenüber der Ausgliederung sehr moderat geäußert hatten. Mittlerweile ist sowohl bei den Befürwortern als auch bei den Kritikern der Wille erkennbar, dass es nach der Entscheidung nicht zu einem Bruch kommen soll.

Ortswechsel – allein der macht schon deutlich, wie schwer es ist, die Interessen der Clubchefs und der Ultras in Einklang zu bringen. Zwischen dem Börsenplatz in Stuttgart-Mitte, wo Wolfgang Dietrich und Co. ihre Sicht der VfB-Dinge erläutern, und dem Bahnhofsvorplatz in Bad Cannstatt liegen Fußballwelten. Herausgeputzt versus abgewetzt. Oder Loge kontra Stehplatz. An dieser Cannstatter Ecke sieht Stuttgart zur Abwechslung aus wie Duisburg-Marxloh, ungeschminkt, dafür mit Shisha-Bar, Balkan-Café und deutschem Freiluft-Trinkertreff. Und mittendrin das Vereinsheim der Fan-Gruppierung Commando Cannstatt im Parkhaus-Anbau.

Wem gehört der Fußball?

Willkommen im Epizentrum der VfB-Ultras. Schals und Wimpel an der Wand, Pokale in der Vitrine, eine riesige Bar. Das reicht. Fan-Purismus in Vollendung. Und in dieses Ambiente gehört eigentlich auch immer die große Frage: Wem gehört der Fußball? Wird er nach den traditionellen Fan- oder nach zukunftsorientierten Wirtschaftsvorstellungen gespielt? Diese Fragen wollen Daniel und Markus – auf Nachnamen wird in der Ultra-Szene prinzipiell verzichtet – gar nicht mehr kategorisch beantwortet wissen. Die beiden jungen Männer aus dem Führungsgremium des Commando Cannstatt, der bekanntesten Stuttgarter Ultra-Vereinigung, sind sich im Klaren darüber, dass Kompromisse geschlossen werden müssen, um einen Club zukunftsfähig zu machen.

Die Ultras fühlen sich berufen, Fragen zu stellen

„Es gehört zur DNA von Ultras, sich in großen europäischen Städten und Stadien zeigen zu wollen und nicht in Dörfern“, sagt Daniel, der so dem Vorwurf entgegentritt, Hardcore-Fans strebten nicht nach Höherem und seien bei der Ausgliederung Totalverweigerer. „Für uns war der Abstieg eine Katastrophe“, ergänzt Markus.

Die Verantwortlichen vom Commando Cannstatt sehen es aber als ihre Aufgabe an, Fragen zu stellen. Jene zum Beispiel, ob eine AG die einzig denkbare Rechtsform ist, um neue Geldquellen zu erschließen. Nicht verhandelbar ist für sie dagegen, „dass der VfB allen Mitgliedern gehören sollte – und zwar inklusive der Fußballabteilung“, wie es im offenen Brief heißt. Was zum Thema Mitbestimmung führt, bei dem die Meinungen auseinandergehen.

Die Clubführung sieht das Mitspracherecht in einer AG als gewährleistet an, weil die Mitglieder auch weiterhin den VfB-Präsidenten wählen, der in allen entscheidenden Gremien die Interessen des Vereins vertritt. Die Kritiker wiederum sehen das Mitspracherecht ausgehebelt, weil Vorstand und Aufsichtsrat der AG nicht mehr von den Mitgliedern gewählt werden und sich auch nicht mehr einer Entlastung stellen müssen. „Wir hätten uns eine Debatte über eine GmbH & Co. KGaA gewünscht, weil man damit besser verschiedene Interessen zum Ausgleich bringen könnte als in einer AG“, sagt Daniel, der der Meinung ist, dass eine AG starrer auf Investoreninteressen zugeschnitten sei.

Die VfB-Ultras vom Commando Cannstatt und die Kollegen vom Schwabensturm, das wissen sie selbst, stehen nicht stellvertretend für die gesamte VfB-Anhängerschaft. Diese Erfahrung hat auch der Vorstand bei Besuchen in diversen Fan-Clubs gemacht. Dort haben sie oft großen Zuspruch für ihr Projekt erhalten und erfreut zur Kenntnis genommen, dass es an der Basis häufig als Chance gesehen wird, Daimler mit ins Boot zu holen. „Um diese Möglichkeit beneiden uns sehr viel Clubs in der ersten Liga“, sagt Wolfgang Dietrich, der durch den umjubelten Aufstieg einen weiteren Trumpf in der Hand hält. An der Bar im Cannstatter Commando-Vereinsheim sticht der allerdings nicht.